Cassis 2022 – Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch (Teil 2)

Teil 1


Am Strand sitzt ein älterer Mann vor uns auf seinem Badetuch. Er ist schätzungsweise Mitte 60, drahtig, sein weißer Haarkranz ist auf Raspellänge rasiert. Seine Badehose ist so knallrot, dass Wencke Myhre ihre helle Freude hätte. Der Herr ist stark sonnengebräunt, seine Haut spielt schon leicht ins Ledrige. Mit großer Sorgfalt und Akribie cremt er sich mit etwas ein, das wie Tiroler Nussöl aussieht.

Ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt. So wie ich das in Erinnerung habe, ist Tiroler Nussöl keine Sonnenmilch. Mit der hast du dich eingeschmiert, damit deine Haut schön glänzt und du gebräunter aussiehst, als du bist. Ist heute kaum noch vorstellbar, wo die Verwendung von Sonnenmilch mit weniger als LSF 30 als eine Mischung aus Leichtsinn und autoaggressivem Verhalten gilt.

Komischer Name auch. Tiroler Nussöl. Heißt das so, weil es aus Nüssen hergestellt wird? Oder weil du nach dem Eincremen nach Nuss riechst? Oder wie eine aussiehst? Hoffentlich nicht wie eine Walnuss.

Keine Nuss, sondern Blumen.

Wir sind bisher sonnenbrandfrei durch den Urlaub gekommen. Wir benutzen ja auch Sonnenmilch mit LSF 50. Schließlich sind wir nicht leichtsinnig oder autoagressiv. Die Tochter hat nur ein dezent gerötetes Dekolleté, beim Sohn spielen die Schultern ganz leicht ins Rötliche.

Ich bin von geröteter Haut jedweder Schattierung verschont geblieben. Dafür haben sich auf der Innenseite meiner Oberschenkel ganz viele rote Pickelchen gebildet. Das sieht aber nicht nach Sonnenbrand aus, sondern wie ein ekliger Ausschlag, der in einem dermatologischen Handbuch im Kapitel „Absolut widerliche Hautanomalien“ behandelt wird. Eine Karriere als Oberschenkel-Model kann ich mir damit abschminken.

Vielleicht ist es eine Sonnenallergie. Dazu juckt es allerdings zu wenig. Oder ich reagiere auf unsere Sonnenmilch. Auch unwahrscheinlich. Die wirbt auf dem Etikett damit, sensitiv und antiallergen zu sein sowie keine Duftstoffe und keine Octocrylene zu enthalten. (Was auch immer das ist.)

Vermutlich kommt der Ausschlag vom Laufen. Wenn ich schwitze und die Hose darüber reibt. Das findet die Haut doof und sagt sich, wenn der Penner mich vollschwitzt, mach ich ihm dafür eklige Pickelchen.

Der Sohn bringt eine andere Möglichkeit ins Spiel: Affenpocken. Halte ich auch nicht für besonders wahrscheinlich. Aber er hätte bestimmt gerne eine gute Story, wenn ihn seine Kumpels fragen, wie es im Urlaub war.

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Nach dem Abendessen gehen wir noch einmal runter zum Strand. Wir wollen uns das Nationalfeiertags-Feuerwerk anschauen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals am Tag der Deutschen Einheit zu einem Feuerwerk gegangen zu sein. In einem anderen Land ist es aber auch ein Gebot der Höflichkeit, den Feiertagen deiner Gastgeber Respekt zu zollen. Außerdem ist Cassis nicht besonders reich an gesellschaftlich-kulturellen Höhepunkten. Da ist so ein Feuerwerk eine nette Abwechslung.

Noch sind es zwei Stunden, bis es losgeht. Der Strand ist trotzdem schon ziemlich voll. Im Gegensatz zu uns sind die anderen Schaulustigen bestens vorbereitet. Wir haben nur uns dabei, die anderen dagegen Decken, Kühltaschen und gut gefüllte Picknickkörbe. Pizza, Baguettes, Wraps, Salate, Chips, Kuchen und Kekse machen die Runde. Dazu werden Sekt, Wein und Bier sowie Softdrinks und andere alkoholfreie Getränke gereicht. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich.

Links von uns sitzt eine Jugendgruppe. Der gutaussende, mittezwanzigjährige Betreuer wird von allen Mädchen angehimmelt. Und von der anderen Betreuerin. Er scheint nicht abgeneigt zu sein. (Bei der Betreuerin, nicht bei den Teenagerinnen.) Möglicherweise veranstalten die beiden später noch ihr eigenes Privat-Feuerwerk.

Ein Vater versucht, seine drei Jungs, schätzungsweise fünf, sieben und neun, in Schach zu halten. Die drei trinken Limo und freuen sich, dass sie heute länger aufbleiben dürfen. Irgendwann kickt der Zucker rein und sie freuen sich ekstatisch, dass sie heute länger aufbleiben dürfen. Da wird es mit dem In-Schach-halten für den Vater etwas anspruchsvoller.

Vor uns hat sich eine Gruppe von 20 bis 25 jungen Männern und Frauen ausgebreitet. Sie sehen aus wie der Cast eines französischen Autorenfilms. Alle sind lässig-modisch gekleidet, sehr attraktiv und reden unablässig. Und rauchen unablässig. Legales und illegales Rauchwerk. Ein bisschen unnahbar und distanziert wirken sie, wie sie da so sitzen. Fast ein wenig arrogant. Aber möglicherweise täuscht das. Vielleicht würden sie sich freuen, wenn ich mich zu ihnen gesellen und sagen würde: „Je m’apelle Christian. Tu t’apelle?“ Ganz im Sinne der Völker- und Generationenverständigung.

Pünktlich um 22.30 Uhr beginnt das Feuerwerk. Um uns herum wird geaaaht und geoooht, als hatten die Menschen noch nie in ihrem Leben ein Feuerwerk gesehen.

Musikalisch untermalt wird die Pyro-Choreographie von einer eigenartigen Mischung aus psychedelischem Rock und Flower-Power-Musik. Von den Stones über die Doors bis zu Donovan ist alles dabei. Ich wäre gerne bei der Gemeinderatssitzung dabei gewesen, als die Hintergrundmusik besprochen wurde.

„Wie wäre es mit einem Best of von Jacques Brel-Liedern?“
„Der war Belgier.“
„Dann vielleicht Edith Piaf?“
„Zu altmodisch.“
„Wir könnten französischen Hip-Hop spielen.“
„Zu neumodisch.“
„Ich habe zu Hause noch die CD Love, Lust & LSD
„Super, Jean-Pierre, die nehmen wir.“

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Obwohl es schon recht spät ist, müssen wir später noch unsere obligatorische Partie Kniffel spielen. Die ist nicht gerade ein Feuerwerk. Meine Frau gewinnt mit 268 Punkten. Bemerkenswert ist, dass der Sohn mit einer 114er-Runde nicht Letzter wird. Die Tochter kommt nur auf 112 und verliert zum sechsten Mal in Folge. Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich prophezeie, dass es für sie dieses Jahr mit dem Gesamtsieg eng wird.


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