Ein letztes Mal zum Supermarkt. Proviant für die Heimreise morgen kaufen.
Nach einer Viertelstunde liegen in unserem Wagen drei Toastbrote, Käse, Schinken, Butter, Kekse mit Schokostückchen, Kekse mit Schokoüberzug, Waffelröllchen mit Schokoüberzug, belgische Waffeln, eine Packung mit kleinen Brioches, eine Packung mit einem großen Brioche, Chips mit Salt and Vinegar, Chips ohne alles, Eistee, Orangina light und Cola Zero. Die Tochter meint, wir würden wie Dreijährige einkaufen, die sonst nie zuckerhaltige Lebensmittel essen dürften, heute aber die Erlaubnis bekommen hätten, alles auszusuchen, worauf sie Lust haben.
Gut, unser Einkaufswageninhalt mag zwar nicht den neuesten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen über eine gesunde und ausgewogene Ernährung entsprechen, aber er hat doch etwas Gutes: Das erste Mal in zwei Wochen liegt unser Einkauf im zweistelligen Bereich.
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Ein letztes Mal am Strand. Bei unserem ersten Besuch hier hatte ich von den Vorzügen des Steinstrands geschwärmt. Du liegst erstaunlich bequem und hast keinen Sand-to-go in der Ferienwohnung. (Und vor allem nicht in deinem Koffer, wo du ihn ein Jahr später vor dem nächsten Urlaub wiederfindest.)
Die Kinder am Strand stören sich nicht daran, dass es keinen Sand gibt, um Burgen zu bauen und Kuchen zu backen. Sie spielen stattdessen mit den Steinen. Am Wasser steht zum Beispiel ein kleiner Junge, der einen ungefähr kindskopfgroßen Stein immer wieder mit voller Wucht auf einen kleineren Stein wirft. Wahrscheinlich hofft er, dass der am Boden liegende Stein zerschmettert wird. Ich befürchte allerdings, dass er sich eher seinen Fuß zerschmettert.
Neben dem Jungen spielt ein kleines Mädchen ebenfalls mit den Steinen. Allerdings ein sehr spezielles Spiel. Energisch kommandiert sie ihren Papa herum, ihr in einem Eimerchen immer wieder neue Steine zu bringen. Dabei muss er jedes Mal einen anderen Eimer nehmen. Die Kleine hat erstaunlich viele davon. (Fast so viele wie wir Beach-Tennis-Sets.) Nimmt der Vater aus Versehen doch mal den gleichen Eimer, weist sie ihn mit der Freundlichkeit eines Navy-Seals-Ausbilders auf sein Missgeschick hin. Das Ganze sieht ein bisschen so aus, als schuftete der Vater in einem Gefängnissteinbruch. Wobei der Umgang dort wahrscheinlich weniger rau ist.
Während der Papa Steine schleppt, kümmert sich das Mädchen liebevoll um ihre Babypuppe. Diese strahlt mit ihrem fratzenhaften Gesicht, den weit aufgerissenen Augen und dem leicht geöffneten Mund starke Chucky-Vibes aus. Sollte ich heute Nacht schlecht träumen, weiß ich wovon.
Neben unserem Platz sitz ein Mann mit einem kleinen bunten Sonnenschirm auf dem Kopf. Ob er den wohl ironisch trägt? Oder hat er ihn heute Morgen aufgesetzt, sich im Spiegel angeschaut und gedacht: „Wie praktisch. Der Hut schützt mich vor der Sonne und sieht auch noch super aus!“
Etwas entfernt von uns sitzt ein anderes kleines Mädchen in einem Planschbecken. Einem mit Wasser gefüllten Planschbecken. Auf dem Strand. Im ersten Moment irritiert mich das, aber bei längerem Überlegen ist das eigentlich eine gar nicht so schlechte Idee. Da hast du als Eltern Gewissheit, dass dein Kind sicher ist und du musst nicht die ganze Zeit aufpassen, damit ihm im Meer nichts passiert. Aber skurril ist es trotzdem. Ein Planschbecken mit an den Strand zu nehmen, ist wie mit deinem Kind ins Kino zu gehen und ihm dann auf dem Tablet einen anderen Film zu zeigen.
Als wir den Strand verlassen kommt mir eine kleine rundliche Frau entgegen. Auf ihrem T-Shirt steht „Colour of Joy“. Das T-Shirt ist grau. Genau mein Humor.
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Auf dem Heimweg vom Strand werde ich Zeuge eines Verbrechens. Eine junge Frau macht sich einer großen Verletzung der sehr strengen Kleidervorschriften in Cassis schuldig. Hier weisen alle paar Meter Schilder darauf hin, dass du als Mann nicht oberkörperfrei und als Frau nicht im Bikini rumlaufen sollst. Die Hinweise gehen da nicht ins Detail, aber ich glaube, Männer dürfen auch nicht im Bikini und Frauen nicht oben ohne durch den Ort flanieren.
Zuwiderhandlungen kosten 38 Euro. 38 Euro ist eine merkwürdig krumme Summe. Fast wie Lebensmittel, die immer Irgendwas Komma 99 kosten. Um unter der psychologischen Kaufschwelle zu bleiben. Vielleicht ist das hier bei der Strafgebühr auch so. Weil sie unter 40 Euro liegt, verstoßen die Menschen häufiger gegen die Vorschriften und die Stadt nimmt mehr ein. Sehr clever!
Die junge Frau trägt Bikini und darüber ein Strandkleid, das vorne geöffnet ist. Ein städtischer Sicherheitsmann bittet sie höflich, das Kleid zuzuknöpfen. Sie leistet seiner Aufforderung sofort folge Allerdings ist das Strandkleid eher ein dünnes Nichts, so dass der Bikini darunter immer noch zu erkennen ist. Eigentlich sieht er jetzt noch aufreizender aus, als wenn sie vollkommen entblößt rumliefe. Aber Vorschrift ist Vorschrift!
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Möglicherweise fragen Sie sich, ob wir gar kein Eis im Urlaub gegessen haben. (Sehr wahrscheinlich ist Ihnen das vollkommen wumpe, aber es macht ein schönes Gefühl, sich vorzustellen, Sie beschäftigten sich eingehend mit meinen Beiträgen.) Das haben wir tatsächlich nicht getan.
Das liegt nicht daran, weil es einen Mangel an Eisdielen in Cassis gibt. Der Grund sind die unfassbar teuren Eis-Preise. Die günstigste Kugel Eis, die ich im Ort entdeckt habe, liegt bei 2,50 Euro. Das lässt die Verwendung des Wortes günstig etwas unangemessen erscheinen. Dabei handelt es sich nicht um Kugeln in Handballgröße, sondern um durchschnittlich große Eiskugeln. In einem Laden wird sogar 3,60 Euro für die Kugel verlang. Auch dort werden keine kürbisgroßen Eise über die Theke gereicht.
In einem anderen Laden formen die Verkläufer*innen das Eis zu detailgetreuen Blumen. Das ist aufwändig, sieht schön aus und für dieses Eis-Kunsthandwerk ist ein Preis von 2,80 Euro nicht unangemessen. Aber machen wir uns nichts vor: nach zehn Sekunden ist das auch nur noch ein stinknormales Eis.
Normalerweise bin ich ein eher sparsamer Mensch, aber im Urlaub genieße ich das Privileg, nicht auf jeden Cent achten zu müssen. (Die Urlaubskasse runzelt die Stirn. „What?“) Aber bei zwei fuffzig für `ne Kugel Eis ist meine Schmerzgrenze erreicht.
Früher gab es bei uns im Ort das Eiscafé Venezia. (Natürlich hieß das so. Wie auch sonst?) Dort kostete die Kugel Eis 50 Pfennig. 50 Pfennig! Ich behalte das hier aber für mich. Immer wenn ich davon erzähle, und das ist ziemlich oft der Fall, bekommen die Kinder so einen glasigen Tunnelblick. (Die Brausebonbons beim Bäcker haben damals auch nur zwei Pfennig gekostet, aber das ist eine andere Geschichte, die noch uninteressanter ist als die historische Eiskugelpreis-Entwicklung.)
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Apropos Eis. Kommen wir zum Kniffel-Turnier. Das endet mit einer riesigen Enttäuschung für mich. Nicht weil mir doch noch der Gesamtsieg entrissen wird. Das passiert nicht. Im Gegenteil, ich gewinne mit dem größten Vorsprung seit der Aufzeichnung unseres Urlaub-Kniffel-Turniers – und das schreibe ich mit der gebotenen und mir innewohnenden Bescheidenheit.
Ob dieses Triumphs hatte ich eigentlich erwartet, dass Konfetti von der Decke fällt, Champagnerkorken knallen, Raketen starten und die Familie mich auf den Schultern durch die Wohnung und dann durch die Straßen von Cassis trägt, bis die Bürgermeisterin mich am Rathaus empfängt, wo ich die Stadt beehre, indem ich mich als Kniffel-Champion ins Goldene Buch eintrage.
Zu meiner großen Irritation – und sicherlich auch der meiner treuen Stammleser+innen – geschieht nichts dergleichen. Die Familie nimmt meinen geschichtsträchtigen Sieg mit einer Mischung aus Desinteresse und Geringschätzung zur Kenntnis.
Ist mir aber egal. In Berlin lasse ich mir den Kniffel-Pokal mit Spaghetti-Eis füllen.
Alle Beiträge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)