Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
7 Uhr, der Handywecker klingelt. Den habe ich gestellt, weil ich in der Frühe laufen will. Der Gestern-Abend-Christian hielt das für eine gute Idee. Der Heute-Morgen-Christian ist davon wenig begeistert, hält den Gestern-Abend-Christian für einen riesigen Trottel und überlegt, das Laufvorhaben zu den Akten legen, bevor es beginnt.
Das preußische Pflichtbewusstsein und die protestantische Arbeitsethik halten aber nichts von zu-den-Akten-legen und auch nichts von Müßiggang oder Laissez-faire und übernehmen das Kommando. Also muss ich meine Laufklamotten anziehen und finde mich kurz danach vor dem Hotel wieder. Das liegt an einem Anstieg, womit sich mir zwei Optionen bieten: Entweder nach links – abwärts oder nach rechts – aufwärts.
Entscheide mich für rechts, dann kann ich später auf dem Rückweg runter laufen. In der Theorie ein bestechender Plan, in der Praxis nicht ganz so, denn nun muss ich erstmal hochlaufen. Sehr lange und sehr steil. Der Jetzt-hochlaufen-Christian hält den Später-runterlaufen-Christian für einen miesen Egoisten, was den aber nicht weiter stört, dafür darf er ja nachher gemütlich den Hügel hinabtraben.
Im Anschluss an die Tour schlendern wir durch den Stadtteil El Raval, durch eine enge Gasse, die links und rechts von kleinen Geschäften und Shops gesäumt ist, manche trashig, manche hochwertig.
Normalerweise bin ich gegen das Werben von Straßenhändlern immun. Ich laufe mit mittelmäßig freundlichem Gesicht an ihnen vorbei und sage mittelmäßig freundlich „No, thank you“, ohne richtig darauf zu hören, was sie zu mir sagen.
Nicht weil ich per se ein unhöflicher Mensch bin. Eher im Gegenteil. Das ist Selbstschutz. Bin ich erstmal in ein Gespräch verwickelt worden, gibt es für mich so gut wie keine Möglichkeit, was auch immer mir angeboten wird, nicht zu kaufen. Schließlich möchte ich die Person nicht kränken. (Beweisstück A: Eine WWF-Fördermitgliedschaft, die ich während des Zivildiensts an der Tür meines Schwesternwohnheim-Zimmers abschloss und erst fünfzehn Jahre später kündigte.)
Heute erwischt mich allerdings ein junger Mann auf dem falschen Fuß. Auf sein „Hello, Sir, how are you?“ versagt mein reflexartiges „No, thank you“. Stattdessen erwidere ich: „Pardon?“ (Warum, Christian, warum?)
Daraufhin lässt er ein paar Small-Talk-Floskeln los, um dann festzustellen, meine Brille sei schmutzig. Das ist einerseits etwas distanzlos, fast schon unverschämt, andererseits aber auch zutreffend. Meine Brille ist tatsächlich schmutzig. Eigentlich immer.
Wenig überraschend hat der Verkäufer eine Lösung für mein Schmutzige-Brille-Problem: ein Putzmittel auf Aloe-Vera-Basis, das durch irgendeine Weltraumtechnologie dafür sorgt, dass die Brille nach der Reinigung tagelang nicht von neuem Schmutz behelligt wird. Das demonstriert er an meiner Brille und weil er schon dabei ist, auch an der meiner Frau.
Für ein überschaubar großes Fläschchen des Wundermittels, circa 200 Milliliter, ruft er einen Preis von 25 Euro auf. Weil ich dazu nichts sage, geht er auf 20 Euro runter. Allerdings ist mir das auch zu teuer. Mein Schweigen ist keine Verhandlungstaktik, sondern ich würde das Putzmittel nicht einmal für fünf Euro kaufen.
Ich nehme all meine Kraft zusammen, die mir als People Pleaser zur Verfügung steht, und erkläre, wir hätten kein Interesse. Der junge Mann sagt, dass sei kein Problem, falls wir es uns anders überlegten, könnten wir ja wieder kommen. Im beiderseitigen Wissen, dass das nicht passieren wird, verabschieden wir uns und gehen weiter.
Mir tut das etwas leid. Hätte ich sofort „No, thank you“ gesagt, hätte ich ihm – und uns – Zeit gespart. Allerdings hätte ich dann nicht tagelang eine saubere Brille.
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Um etwas zu entspannen, suchen wir die Jardins de Rubio i Lurch auf, einen Stadtpark in einem historischen Krankenhaus, der von Mit Vergnügen als „unerwartete Oase“ angepriesen wurde. Dort könne man eine „Pause vom Trubel der Stadt“ einlegen, unter blühenden Orangenbäumen lesen oder Schach mit katalanischen Opas spielen. Das hört sich gut an. (Außer das mit den Schach spielenden katalanischen Opas. Auf die könnte ich verzichten. Nicht weil sie Opas sind und aus Katalonien stammen, sondern wegen des Schachspielens.)
Als wir den Park erreichen, entpuppt er sich als weit weniger idyllisch als bei Mit Vergnügen beschrieben. Eher als Sammel- und Schlafplatz von Obdachlosen und Drogenabhängigen, was nicht unbedingt meinem Verständnis von „unerwarteter Oase” entspricht. (Wobei, unerwartet war es auf seine Weise schon.)
Also legen wir unsere Rast stattdessen am nahegelegenen Playa de Sant Josep ein, einem Platz an einer großen Markthalle mit vielen Lokalen und Bars. Wer dort allerdings auch Rast macht, sind monströs große Möwen. Die machen den Eindruck, als duldeten sie die herumsitzenden Menschen lediglich. Wir beschließen, Ausruhen ist überbewertet und gehen weiter.
Baum vor WandMöwe, bossy
Unschönes Erlebnis auf dem Rückweg zum Hotel: In El Born werden wir Zeuge eines Diebstahls. Ein junger Typ versucht einer indischen Touristin die Kette vom Hals zu reißen, was ihm nach kurzem Gerangel gelingt. Meine Frau und ich wollen der Inderin zur Hilfe eilen, aber bis wir kapiert haben, was da gerade passiert, rennt der Dieb schon weg.
Reflexhaft laufe ich ihm ein Stück hinterher, um ihn zu verscheuchen. Dann fällt mir auf, dass er die Kette ja bereits hat und ich ihn folglich einholen müsste, um hier irgendetwas zu bewirken. Was würde aber passieren, wenn ich ihn tatsächlich stelle. Muss ich ihm dann eine reinhauen? Oder macht er das bei mir? Halte das zweite Szenario für wesentlich realistischer und breche die Verfolgung nach wenigen Metern ab.
Ein paar junge Männer kümmern sich derweil um die indische Frau. Wir gehen weiter und halten unsere Rucksäcke und Taschen etwas fester als vorher.
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Fürs Abendessen hat meine Frau eine weitere Tapas-Bar bei Google ausfindig gemacht. La Pepita kann eine 4,5-Sternebewertung vorweisen und liegt knapp zwei Kilometer von unserem Hotel entfernt im Künstlerviertel Gracia.
Der Stadtteil verströmt leichte Prenzlauer-Berg-Vibes, nur die Leute sehen hier nicht ganz so unangenehm hip aus. Vielleicht kann ich das aber auch nicht so gut beurteilen, weil ich nicht weiß, was in Spanien als hip gilt. (Um ehrlich zu sein, vermag ich das in Deutschland ebenso wenig einzuschätzen.)
Drache, herzlich
Nach kurzer Wartezeit vor der Bar (Stichwort: Freitagabend und keine Reservierung) bringt uns eine junge Frau an der Theke vorbei in den hinteren Teil des Lokals zu unserem Tisch.
Ein junger Mann hinter dem Tresen trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck: „I am not rude I just have the balls to say what everyone else is thinking.“ Ein erstaunliches Statement für jemanden, der in der Gastronomie arbeitet. Gleichermaßen überheblich und unhöflich. Vielleicht ist sein „I am not rude I am just a fucking asshole“-Shirt gerade in der Wäsche.
Bei der Bestellung überfordert mich das Prinzip Tapas ein wenig. Ich möchte fast alles probieren, was auf der Karte steht, weiß aber nicht, wie groß die Portionen sind und wie viele Gerichte du nehmen kannst, bevor die Leute dich für Jumbo Schreiner halten, der versucht, einen Weltrekord im Tapas-Essen aufzustellen.
Wir ordern Chorizo, Käse mit Weintrauben und Rosinen, frittierte Auberginen auf Ziegenfrischkäse mit Apfelraspeln und die wütenden Kartoffeln. So wütend finde ich sie später gar nicht, nur gut gewürzt. Dazu nehmen wir einen halben Liter Sangria und weil man auf einem halben Bein schlecht steht, später noch einen halben.
Als die ersten Speisen auf unserem Tisch stehen, bin ich unsicher, ob ich sofort mit dem Essen anfangen kann oder auf den Rest warten muss oder das gerade nicht tun sollte, weil dann jeder weiß, dass ich ein ignoranter Trottel bin, der hier eigentlich nichts zu suchen hat. (Kulinarischer Luxus-Stress im Urlaub)
Kartoffel, wütend (nur ein bisschen)Wand, bunt
Neben uns sitzt ein amerikanisches Paar, etwas älter als wir. Sie bekommen ununterbrochen neue Tellerchen, Schüsselchen und Brettchen mit Leckereien gebracht. Ich glaube, sie haben das Tapas-Game noch weniger verstanden als wir.
Wir kommen mit ihnen ins Gespräch und erfahren, dass sie aus North Carolina sind, er hat deutsche Vorfahren, die er aber nicht kennt. Amerikaner*innen sind so angenehm small-talk erprobt, da fällt selbst mir eine Unterhaltung leicht. Sie wollen nie etwas von dir und freuen sich überschäumend, wenn du sagst, du kommst aus Deutschland („That’s amazing!“) – sicherlich freuen sie sich genauso, wenn Italiener oder Franzosen erzählen, wo sie herkommen – und nach ein paar Minuten gehen alle fröhlich ihrer Wege.
Damit die beiden sich mit ihrem vielen Essen nicht so schlecht fühlen, bestellen wir noch Nachtisch. Irgendetwas sehr Schokoladiges und Mais-Eis mit Popcorn. Beides köstlich.
Die DSGVO, so beliebt wie Zitronat, Orangeat, Rosenkohl und Kapern. Daher auch diese Woche der Hinweis: Durch die eingebetteten Posts der diversen Social-Media-Plattformen können deren Betreiber wahrscheinlich irgendetwas herausfinden, was Sie im Internet so machen. Und zwar weil ich die Posts nicht hinter leserinnenunfreundlichen opt-in-Verfahren versteckt habe. Wenn Sie das nicht möchten, ziehen Sie am besten schnell weiter. Allen anderen viel Spaß beim Lesen.
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Wie jeden Freitag, das beste Familien-Gedöns der Woche. Auch diesmal ist die Auswahl gekennzeichnet durch Intransparenz, Subjektivität und Inkompetenz.
Der Sohn streichelt um 4:30 Uhr die Wand neben sich und sagt "Mama, da ist ein Mensch, siehst du ihn auch? Er ist immer da und er lacht."
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6.45 Uhr. Die sphärischen Klänge meines Handyweckers beenden die Nacht in unserem Low-Budget-Hotel in Avignon. Habe geschlafen wie ein Stein und fühle ich mich auch so: schwer, steif und unfähig, mich zu bewegen.
Die Dusche wartet dafür mit erfreulich ordentlichem Wasserdruck auf. Nicht zu doll, dass dir die Haut vom Leib gekärchert wird, aber auch nicht zu lasch, dass du dreißig Minuten benötigst, um dir Shampoo und Seife von Kopf und Körper zu spülen.
Weil ich zu faul bin, mein Duschgel zu suchen, benutze ich die All-in-one-Allzweckwaffe, die in der Dusche hängt. Was genau da drin ist, kann ich ohne Brille nicht lesen. Vielleicht auch besser. Wahrscheinlich ein Körperpflege-Badreiniger-Hybrid, der sowohl zum Einseifen als auch zum Entfernen von Kalk und Schimmel verwendet werden kann. Und als Rohrfrei.
Zumindest riecht, was auch immer in der Flasche ist, neutral und mir fallen nicht spontan die Haare aus. Somit sind die Mindestanforderungen an eine Duschgel-Shampoo-Kombi erfüllt.
Beim Auschecken müssen wir die City Tax von 1,10 Euro pro Person entrichten. Das ist nicht besonders viel. Da wir gestern lediglich 500 Meter vom Bahnhof zum Hotel gelaufen sind und achteinhalb Stunden geschlafen haben, fühlt es sich trotzdem an, als sei das ein Scam der Stadt Avignon.
Wir gehen weiter und wollen zum Stadtstrand. Meine Frau war letztes Jahr auf ihrer Barcelona-Dienstreise bereits dort und kam auf dem Weg dorthin durch ein schönes Viertel. Dieses Stadtspaziergang-Erlebnis möchte sie nun rekonstruieren. Im November sei sie immer geradeaus gelaufen und nach einem kurzen Blick auf Google Maps meint sie, das müsste diesmal auch klappen.
Ich finde das nicht ganz logisch. Dazu müssten wir ja ungefähr vom gleichen Punkt starten wie sie seinerzeit. Im Gegensatz zu mir kann meine Frau aber mit der Autorität ihres einen Barcelona-Besuchs sprechen. Ich war vor fünfzehn Jahren lediglich mal in Madrid, was mir keinerlei Kompetenz-Pluspunkte bezüglich der Stadtgeographie Barcelonas einbringt. Folglich behalte ich meine Bedenken für mich.
Wir gehen also geradeaus. Eine sehr breite Straße entlang mit breiten Radwegen und breiten Bürgersteigen. Dann weiter geradeaus und noch mehr geradeaus. Ein Schild bewirbt den städtischen Zoo. Die Richtung zeigt aber nicht geradeaus, so dass wir ihn nicht sehen werden.
Wir kommen an einem Uni-Gebäude vorbei. Eine Bibliothek oder eine Mensa. Keine Ahnung. Ich kann mich nicht mehr so gut konzentrieren. Vom vielen geradeaus laufen bin ich etwas erschöpft.
Ich frage meine Frau, wie weit es noch ist. „Nicht mehr weit“, sagt sie und hält mir ihr Handy vors Gesicht. „Nur noch ein paar Zentimeter.“ Ich überlege, ob dies der richtige Zeitpunkt ist, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass auf einem Handydisplay alles nur ein paar Zentimeter entfernt ist, und komme zu dem Schluss, dass er es nicht ist.
Allmählich meldet sich bei uns ein kleines Hüngerchen. Das ist ein Problem. Mit Hunger kann meine Frau nicht so gut umgehen. Sie wird dann ein bisschen unleidlich. (Das schreibe ich mit der mir größtmöglichen Zuneigung, auf der unsere 27-jährige Partnerschaft basiert.) Mir macht Hunger nicht so viel aus. Allerdings kann ich hungrig mit der Hungerunleidlichkeit meiner Frau nicht so gut umgehen. Somit bedroht unser Kaloriendefizit die eheliche Harmonie und damit auch die gute Urlaubsstimmung.
Wir beschließen, zu McDonald’s zu gehen, um den nächsten Punkt von unserer Städtereisen-Liste zu streichen. Ein Besuch bei dem US-amerikanischen Fast-Food-Riesen ist ohne Frage in vielerlei Hinsicht problematisch: kulinarisch, kalorisch und ökologisch, um nur ein paar Punkte zu nennen.
Im Ausland bei McDonald’s zu essen, ist geradezu kulturlos, frevelhaft und ignorant. Wie sollst du etwas über eine andere Kultur lernen, wenn du zu einem global agierenden Einheits-Burger-Bräter gehst? Gerade dadurch, denn aus ethnologischer Sicht ist aufschlussreich, welche landesspezifischen Burger, Speisen und Angebote dort angeboten werden.
Im spanischen McDonald’s stehen beispielsweise ein paar Desserts auf der Karte, die ich aus Deutschland nicht kenne. (Was auch daran liegen könnte, dass ich in Deutschland nicht so oft zu McDonald’s gehe und keinen aktuellen Überblick über die dortige Auswahl habe.) Zum Beispiel frittiertes Schmalzgebäck, das mit Vanille- oder Schokocreme gefüllt ist. Das wäre in Deutschland schon deshalb nicht möglich, weil man sich nicht einigen könnte, wie das heißt: McBerliner, McPfannkuchen, McKrapfen oder McKreppel.
Wirklich überraschend ist die spanische McDonald’s-Speisekarte aber in anderer Hinsicht: Wir finden keinen einzigen vegetarischen Burger. Ich google extra, ob das wirklich so ist oder wir einfach zu doof sind. Sind wir nicht. Wenn du hier fleischlos essen möchtest, musst du zu Pommes in unterschiedlichen Variationen greifen und aufpassen, dass du dazu nicht versehentlich die Käsesauce mit Schinkenstückchen nimmst. Oder du wählst die Schmalzbällchen, aber das ist als Mittagessen auch nicht das Wahre.
Als moralisch flexibler Vegetarier entscheide ich mich für den Hamburger Royal, für das gute Gewissen in der TS-Variante mit Tomate und Salat. Geschmacklich kann ich keinen Unterschied zu seinem deutschen Kollegen feststellen.
Eines haben McDonald’s-Besuche in allen Ländern gemein: Das Essen schmeckt auf seine eigene, spezielle Weise okay, aber du verlässt den Laden immer mit schlechtem Gewissen. Weil du dir gerade ungesunden Scheiß reingepfiffen hast und außerdem weißt, dass du in einer halben Stunde wieder Hunger hast.
Nun ja.
Nach unserer Expedition in die spanisch-US-amerikanische Systemgastronomie finden wir doch noch den Stadtstrand. Auf dem Meer findet gerade eine Louis-Vuitton-Soundso-Regatta statt. Für Laien ist kaum nachvollziehbar, was da passiert. Ein paar große Segelboote fahren von links nach rechts, ein paar andere von rechts nach links. Trotzdem verfolgt eine nicht unerhebliche Menge das Geschehen auf dem Wasser, einige sogar mit monströs großen Feldstechern.
Am Ufer ist eine riesige Leinwand fürs Public Viewing aufgebaut, ein Mann kommentiert, damit alle wissen, wann es spannend wird. Ab und an brandet Szenenapplaus auf.
Das Publikum ist männlich geprägt mit einer hohen Dichte an braunen Lederslippern, weißen Bermudas und langärmligen Ralph-Lauren-T-Shirts. Die Uniform der Besser- und Bestverdienenden.
Der Strand ist gut gefüllt. Fliegende Händler laufen durch die Menge und bieten ihre Waren und Dienstleistungen an. Softdrinks, Tücher, Massagen, Flechtfrisuren, Bier, Sangria, Cocktails und vieles mehr.
Niemand kauft etwas. Wer will schon Sangria, Caipirinha oder Mojito trinken, der seit zwei Stunden durch die spätsommerliche Nachmittagshitze getragen wurde?
Alles ist verboten.
Nach dem Stadtstrand wollen wir noch auf einen Aussichtspunkt, um Barcelona von oben anzuschauen. (Siehe Punkt 1 der Städtereisen-Liste) Die Mit-Vergnügen-Seite „Barcelona-Geheimtipps (sic!) – 11 Orte abseits der touristischen Ecken“ schlägt dafür den Parc Carmel vor. Der liegt oberhalb des bekannteren Parc Güell, den ebenfalls der Baumeister-Tausendsassa Antoni Gaudi entworfen hat, und kostet im Gegensatz zu diesem keinen Eintritt. Das freut den kostenbewussten Urlauber – sprich mich.
Google Maps gibt die Entfernung vom Strand zum Park mit ungefähr sechs Kilometern und anderthalb Stunden Fußmarsch an. Wenigstens nicht immer geradeaus.
Als wir nur noch einen Kilometer entfernt sind, liegt die Zeitdauer laut Google bei 28 Minuten. Das finde ich ziemlich üppig bemessen und wundere mich, ob das die Angabe für Rollatoren-Senior*innen. Aber nur bis ich den Anstieg sehe, den wir noch bewältigen müssen. Ich weiß nicht, wie viel Prozent die Steigung hat, glaube nun aber zu wissen, wie sich Tour-de-France-Fahrer fühlen, wenn sie nach Alpe d’Huez hoch radeln. Besser als wir.
In Trippelschritten schleichen wir den Berg hinauf. Zwischendurch überholen wir einen jungen Mann, der den größten Joint raucht, den ich je gesehen habe. Cartoonhaft groß. So groß, dass Markus Söder vor Wut seinen Maßkrug gegen die Wand werfen würde. Vielleicht halluziniere ich das auch nur.
Beim Parc Güell angekommen, haben wir es fast geschafft. Denken wir. Weil wir nicht mit den Treppenstufen gerechnet haben, die den restlichen Hügel hochgehen. Und schon gar nicht mit so vielen Treppenstufen. Mehr als 300. Es sind 320, um genau zu sein. Ich habe sie gezählt.
Während wir langsam Stufe für Stufe nehmen, kommt ungefähr auf der Hälfte ein Jogger an uns vorbeigesprungen. Mieser Streber.
Oben werden wir tatsächlich mit einem phantastischen Blick über Barcelona belohnt. Die Sagrada Familia ist zu sehen, der Stadtstrand, die quadratisch angelegten Stadtviertel und der Torre Agbar, ein 142 Meter hoher Wolkenkratzer, der eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit einem Riesendildo aufweist.
Abendessen in der Hasta los Andares, einer Tapas Bar, die meine Frau bei Google gefunden hat und die mit den Vorzügen „fußläufig zum Hotel“ und einer 4,8-Sterne-Bewertung aufwarten kann.
Die Bar ist eng, trubelig, erstaunlich hell, aber trotzdem nicht ungemütlich. Hinter der Theke schauen wir einer Frau bei der Tapas-Zubereitung zu. Ein beruhigendes Zeichen, wenn die Küche nichts zu verbergen hat.
Wir bestellen eine Auswahl an Käse sowie Wurst und Schinken, dazu gibt es katalanisches Brot mit Tomate. Ich habe keine Ahnung, was wir da genau essen – obwohl der Kellner uns es erklärt hat –, aber alles ist köstlich. Dazu trinken wir Sangria, das erste Mal in unserem Leben. Meine Frau findet, es schmeckt ein wenig nach Glühwein, nur in kalt, bizzelig und lecker. Und nach mehr, so dass wir Nachschub ordern.
Prost.Mahlzeit.
Bilanz des Tages
4 Stunden Zug gefahren
6 Stationen mit der U-Bahn zurückgelegt (1x umgestiegen)
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Wache orientierungslos auf und weiß nicht wer, wo und wann ich bin. Laut dem Stand der Dämmerung könnte es 4 oder schon 9 Uhr sein. Letzteres wäre ungünstig, Unser Zug fährt um 8.30 Uhr am Hauptbahnhof los.
Der Radiowecker zeigt 5.30 Uhr an. Alles im grünen Bereich. Außer dass ich eine Stunde länger hätte schlafen können.
Dafür kann ich alles etwas geruhsamer angehen lassen. (Positiv denken.) Kaffee trinken, aufs Klo gehen, Spülmaschine ausräumen, einen weiteren Kaffee trinken, duschen, Provianttasche fertig richten, Kaffee Nummer drei, nochmal Toilette. Als ich den nächsten Kaffee machen will, sagt die Blase, jetzt sei es mal gut mit dieser Kaffeetrinkerei, sonst würde ich die halbe Fahrt auf der Bordtoilette verbringen und das sei wirklich der letzte Ort, an dem du dich in einem Zug aufhalten möchtest.
Der TGV hat schon bessere Tage gesehen. Hoffe ich zumindest. Die Sitze sind durchgesessen, der Teppichboden könnte eine Reinigung vertragen – noch besser: rausreißen und verbrennen – und an der Rückenlehne vor mir sind rorschachartige Spritzer von etwas Undefinierbarem, die ich mir lieber nicht näher anschaue, weil ich gar nicht wissen möchte, was das mal gewesen sein könnte. Dafür sitzen keine Rammstein-Assis in unserem Waggon. (Positiv denken.)
Ein Mann, der Richtung Toilette geht, tritt mir versehentlich auf den Fuß. Er ist fast zwei Meter groß, hat das Kreuz eines Möbelpackers und trägt eine Jeffrey-Dahmer-Brille. Deswegen entschuldige ich mich bei ihm und beteure, es sei ganz allein meine Schuld, dass ich meinen Fuß unter seinen gestellt habe.
Bei jedem Halt ertönt kurz vor der Ankunft im Bahnhof eine Frauenstimme aus dem Bordlautsprecher. Sie sagt auf die passiv-aggressivste Weise, die du dir vorstellen kannst: „Wir sind da. Sicherlich nichts zurückgelassen? Ein letzter Blick schadet nicht.“
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21 Uhr. Ankunft in Avignon. Ich weiß nichts über die Stadt. Nur dass dort eine Brücke steht. Vermute ich zumindest, weil wir diese regelmäßig im Grundschul-Musikunterricht besangen.
Auf dem Weg zu unserer Unterkunft. Bin ein wenig nervös, da ich sie gebucht habe. Ein Low-Budget-Appartement-Hotel, bei dem mir Preis und Nähe zum Bahnhof wichtiger als Ausstattung und Komfort waren. Ich hoffe, das Hotel genügt den Ansprüchen meiner Frau.
Andererseits darf sie sich nicht beschweren, sie hätte ja selbst ein Zimmer raussuchen können. Das ist ein ehernes Gesetz unserer mehr als 27-jährigen Partnerschaft und Basis unserer meist harmonischen Ehe: Du darfst dich nicht über etwas beklagen, um das du dich selbst hättest kümmern können.
Gegen diese Regel verstoßen wir fast nie. Zur Not habe ich den Satz einer Kundinnen parat: „Nur wer nichts macht, macht keine Fehler.“ Ein großartiges Motto, mit dem du den größten Bockmist, den du anrichtest, rechtfertigen kannst. („Du hast mich mit meiner Schwester betrogen?“ „Nur wer nichts macht, macht keine Fehler.“)
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Im Hotel ist der Empfang nicht mehr besetzt. Das wussten wir schon, denn ich hatte gestern eine Mail mit detaillierten Anweisungen erhalten:
Das Appartement liegt in der 8 Rue de la gare.
Wenn die Tür zum Hotel verschlossen ist, benutze den Code 2793.
Gehe nicht zur Rezeption, gehe direkt zu dem schwarzen Safe und öffne ihn mit der Kombination 779218.
In dem Safe liegt ein Umschlag mit deinem Namen und einem Schlüssel. Gehe damit in den dritten Stock zu Zimmer 314.
Klingt wie der Quest eines 90er-Jahre Text Adventures, bei dem du einen Topf Gold hinter dem Regenbogen suchst, ist aber leider nur der Zugang zu unserer Schlafstätte. Ein schlichtes Zimmer mit zu weißen Wänden und zu greller Beleuchtung und leicht müffelndem Abfluss im Bad. Ich darf das kritisch anmerken, schließlich habe ich es gebucht.
Shining Reloaded
Today day is a to be perfect happy
Essen wie Gott in Avignon
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Zum Abendessen machen wir in der Kochnische Express-Beutel-Reis mit passierten Tomaten aus dem Tetrapak. Um den Abwasch zu reduzieren, löffeln wir direkt aus dem Topf. Essen wie Gott in Frankreich neu interpretiert.
Bilanz des Tages
12 Stunden Zug gefahren
rund 1.450 Kilometer zurückgelegt
1-mal umgestiegen
0 Minuten verspätet
3 Äpfel, 3 Stullen, und 3 Stücke Kuchen gegessen
3 Cappuccini getrunken (beziehungsweise 1 Cappuccino, noch 1 Cappuccino und 1 weiteren Cappuccino)
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„Wie heißt nochmal unser Urlaubsort?“ So doll wie meine Frau ihre Augen verdreht, ist zu befürchten, sie kullern gleich aus den Höhlen. Ich möchte nicht ausschließen, dass ihre Augenrollerei darauf zurückzuführen ist, dass ich diese Frage nicht zum ersten Mal gestellt habe, sondern bereits mehrfach. Wie oft, vermag ich nicht zu sagen.
„Vilafortuny. Zwischen Salou und Cambrils“, antwortet meine Frau. Sie redet sehr langsam und etwas zu laut für normale soziale Gepflogenheiten. Als wäre ich schwer von Begriff und schwerhörig. Dabei habe ich nur ein sehr schlechtes Namensgedächtnis. Das schließt neben Personen, Bäumen, Blumen und Vögeln nun mal Orte ein.
Mit dem Zug bist du zwar länger unterwegs – bei der Deutschen Bahn oftmals noch länger –, aber die langsame Fortbewegung hat auch etwas Beruhigendes und Kontemplatives, so dass du deinen Urlaub sehr achtsam beginnst. Außer du hast massive Verspätungen, verpasst Anschlusszüge und musst ungeplant irgendwo übernachten. Dann fängt dein Urlaub maximal gestresst an.
Die Zugreise nach Spanien ist eigentlich gar nicht so schlimm. Mit dem Nachtzug von Berlin nach Paris, morgens umsteigen und am späten Nachmittag dann Ankunft in Barcelona. Dort wollen wir unsere Ferien mit einem zweitägigen Aufenthalt starten.
Die unkomplizierte Anreise galt zwar noch ein halbes Jahr vor unserem Urlaub, als ich mir das zum ersten Mal angeschaut habe, aber nicht mehr Mitte Juli, als ich die Karten kaufen wollte. Die Nachtzugverbindung nach Paris hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Stichwort Gleisarbeiten rund um Frankfurt oder irgendetwas anderes. Stattdessen müssen wir nun in Mannheim umsteigen, insgesamt zwölfeinhalb Stunden bis Avignon fahren, dort übernachten und am nächsten Tag geht es weiter nach Barcelona.
Der Vorurlaubsstress erhöhte sich dann zusätzlich, als meine Frau zwei Tage vor unserer Abreise feststellte, dass ich das Hotel in Avignon einen Tag zu früh gebucht hatte. Entsprechend stornierte ich es und musste darauf hoffen, ein anderes zu bekommen. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass Hotels in der Bahnhofsgegend von Avignon nicht besonders gefragt sind und ich finde sofort eine alternative Unterkunft. Ich denke besser nicht darüber nach, warum sie so kurzfristig zu haben ist. Sie ist sogar zehn Euro günstiger, was ich lieber auch nicht hinterfrage.
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Aufgrund berufsbedingten Stresses in Verbindung einer gewissen Trägheit komme ich – wie jedes Jahr – nicht dazu, mich vorab inhaltlich eingehend mit Spanien oder unserer Urlaubsregion zu beschäftigen. Stattdessen bereite ich mich mit meinem Assoziationsspiel vor. Ich stelle den Timer auf eine Minute und schreibe, ohne zu googeln, innerhalb von 60 Sekunden alles auf, was mir zu Spanien einfällt.
Meine ersten Assoziationen ist Fußball. Die erste Weltmeisterschaft, die ich als Kind verfolgte, fand 1982 in Spanien statt, Deutschland wurde Vize-Weltmeister. Die letzte Europameisterschaft fand wiederum in Deutschland statt und Spanien gewann den Titel.
Wenn wir schon beim Fußball sind: Die beiden erfolgreichsten spanischen Vereine sind Real Madrid und der FC Barcelona. Gegen Madrid verliert Bayern meistens, gegen Barcelona gewinnen sie häufiger.
Letzte Sport-Notiz: Rafael Nadal. Der Mallorquiner hat eine Milliarde Mal die French Open gewonnen. Ich mochte ihn nie besonders, weil er sehr oft gegen den mir sympathischeren Roger Federer gewann. Beim Abschiedsturnier des Schweizers traten sie gemeinsam im Doppel an, saßen zum Schluss nebeneinander der Spielerbank und weinten hemmungslos. Das fand ich sehr rührend.
Zur spanischen Geschichte weiß ich nicht viel. Nur dass das Land früher eine stolze Seefahrernation war. Christoph Kolumbus war zwar Italiener, aber seine „Entdeckungsreise“ nach Amerika finanzierte das spanische Königshaus. Auch nichts, auf das ich als Spanier allzu stolz wäre.
Über die aktuelle spanische Politik habe ich ebenfalls sehr wenig Wissen. Der Regierungschef ist Sozialist, aber kein SED-Sozialist, sondern mehr so ein SPD-Sozialist. Sein Name ist mir unbekannt. (Im Zweifel Sanchez.) Bis in die 70er herrschte in Spanien der Diktator Franco. Vorname unbekannt. (Zumindest mir.)
Spanien hat ein Königshaus. Dessen langjähriges Oberhaupt Juan Carlos (I. oder II.?) fiel vor ein paar Jahren in öffentliche Ungnade. Ich glaube wegen einiger außerehelichen Affären sowie unzeitgemäßer Großwildjagd-Fotos. Wahrscheinlich gab es noch einige andere Skandale, denn ein paar Mätressen sowie Elfenbein-Trophäen gelten unter Blaublütigen wohl eher als Nichtigkeiten.
Zur spanischen Kultur fallen mir nur Flamenco, Carmen (hat ein Franzose geschrieben) und Stierkampf ein. Wobei letzteres weniger in die Kategorie Kultur, sondern mehr unter Tierquälerei fällt.
Kulinarisch verbinde ich Spanien mit Tapas, Rotwein und Paella. Tapas und Paella habe ich noch nie gegessen. Letztere sollte nicht mit Polenta verwechselt werden. Paella: Fisch-Reis-Gericht, Polenta: irgendwas mit Mais.
Geographisch ist Spanien eine Halbinsel und sieht wie eine Faust aus und deswegen leicht auf unbeschriebenen Europa-Landkarten zu finden. (Unschöne Erinnerungen an Erdkunde-Tests in der Mittelstufe.)
Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
14. Oktober 2024, Berlin
Für die Tochter startet ihr Studium in Kiel. Soziologie und Politikwissenschaft. Erstmal Einführungstag, bei dem sich die Institute der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät vorstellen. (Selbstverständlich haben die Wirtschaftswissenschaften darauf bestanden, trotz alphabetischer Nachrangigkeit in der Fakultätbezeichnung an erster Stelle geführt zu werden.)
Unter anderem erfährt die Tochter, dass an der Christian-Albrecht-Universität 27.000 Studierende studieren. Rund 10. 000 Menschen mehr als in Carlow leben, ihrer alten Uni-Stadt in Irland.
Die Universität bezeichnet sich selbst mit dem Kürzel CAU. Vermutlich soll das cool klingen und entscheidende Vorteile im globalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe verschaffen. Ich habe dabei die unvorteilhafte Assoziation mit GAU, dem größten annehmbaren Unfall.
Schön ist die Startmeldung auf der CAU-Website. „Elefanten erinnern sich nach vielen Jahren an Tierpfleger.“ Klingt wie eine Meldung auf der Seite Vermischtes in der SZ, handelt aber von einer Studie am Zoologischen Institut, für die die Arbeitsgruppe „Zoologie und Funktionsmorphologie der Vertebraten“ verantwortlich ist. (Viel Glück den Arbeitsgruppen-Mitgliedern, wenn sie ihren Eltern erklären müssen, was sie genau machen.)
Das Video „Liebe. Für Euch.#LOVECAU“ stellt die Uni und die Stadt Kiel humorig vor. Am Ende des Clips klärt mich ein junger Mann auf – Studi oder Komparse? –, CAU werde nicht als Wort, sondern als Abkürzung ausgesprochen. Also, wie ARD, ICE oder THC und nicht wie eine fatale Katastrophe in einem Kernkraftwerk.