¡Hola España! – Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts

Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.

Der Morgen präsentiert sich mit grauer Wolkendecke. Am Horizont sieht der Himmel aus wie das Nichts in „Die Unendliche Geschichte“. Aber es regnet nicht. Wo Nichts ist, kann kein Regen fallen.

Ich esse eine Banane. In der Ferne segelt auf dem Meer ein Segelboot ohne Segel. Heißt das dann überhaupt segeln?

Über den Strand spaziert eine Frau mit Stockschirm unter dem Arm. Wahrscheinlich weiß sie nicht, dass es im Nichts nicht regnet. Zeit für mich, laufen zu gehen, bevor ich noch mehr wirre Gedanken habe.

Titelbild mit einem dunklen, wolkenverhangenen Himmel über dem Meer

Heute sieht das Trainingsprogramm Zwei-Kilometer-Intervalle vor. (Deswegen die Banane.) Insgesamt vier Stück. (Trotzdem nur eine Banane.) Aber zuerst zwei Kilometer langsam aufwärmen und die Müdigkeit aus den Beinen laufen.

Während des ersten Intervalls überhole ich meine Frau, die einen Spaziergang nach Cambrils macht. Renne sie fast über den Haufen, weil sie plötzlich die Spur wechselt. (Stichwort fehlender Schulterblick.)

Zu Beginn des zweiten Intervalls laufe ich an einem Mann vorbei, der einen nach unten gerichteten Pfeil auf der rechten Wade tätowiert hat. (Pfeil im Sinne von Pfeil und Bogen, nicht einen Wegweiser.) Was soll uns dieses Tattoo sagen? Dass er pfeilschnell ist? Oder zeigt er sich verletzlich, weil der Pfeil auf seine Achillesferse deutet? Oder hat er eine Wette verloren?

Im dritten Intervall sehe ich einen anderen Mann mit Ritterhelm-Tattoo auf der linken Wade, der Helm ist von einem Pfeil durchbohrt. Was haben die spanischen Männer mit den Pfeilen? Vielleicht sind die beiden Teil eines Künstlerkollektivs und machen spektakuläre Performance-Kunst mit ihren pfeiltätowierten Waden. (Wie immer: Nicht sehr wahrscheinlich, aber trotzdem möglich.)

Kurz vor Ende des letzten Intervalls kommt mir ein hünenhafter, muskelbepackter Läufer mit freiem Oberkörper entgegen. Er nickt mir zu, ich freue mich unnormal.

Warum, Christian? Weil das hier so selten passiert, dass jemand grüßt? Heischt meine fragile Männlichkeit nach der Anerkennung durchtrainierter Alpha Dudes? Oder hatte ich in dem Moment einen Endorphinausstoß, weil der anstrengende Lauf gleich vorbei ist? So viele Möglichkeiten, so wenige Antworten.

Strandliegen an Strohsonnenschirmen

Zuhause erzählt meine Frau, sie sei in Cambrils in eine Apotheke gegangen. (Sie brauchte eine Salbe für die von den billigen Flip-Flops aufgeschubberte Stelle an ihrem Fuß. Ich finde langsam übertreibt Karma es ein wenig mit der Bestrafung, weil sie sich über die schlurfenden Frauen mokiert hat.)

Die Apothekerin hätte sie auf Spanisch angesprochen, weil sie meine Frau für eine Spanierin hielt. Sie fand das schmeichelhaft, ich war mir da nicht so sicher. Vielleicht hat meine Frau die Apothekerin an ihre Großmutter erinnert. Das wars dann ganz schnell mit dem Schmeichelhaften.

Meine Frau ist für diese Argumentation aber nicht besonders zugänglich. Genauso wenig wie für meinen Hinweis, das sei vielleicht nicht sehr wahrscheinlich, aber deswegen trotzdem möglich.

###

Merkwürdiger Tag. Gestern war für heute Regen angesagt, jetzt ist der Himmel nur leicht bewölkt und die Sonne scheint. Es ist auch warm genug für einen Strandbesuch. Das haben wir aber nicht geplant, wir hatten uns sogar noch gar nichts vorgenommen, und wir sind Ende 40 und da bist du nicht mehr so flexibel, dass du spontan Pläne umschmeißt, die du gar nicht gemacht hast, oder neue schmiedest.

Möglicherweise liegt die komische Stimmung daran, dass heute der drittletzte Urlaubstag ist. Das klingt nicht schön: drittletzter. Niedergeschrieben sieht das auch nicht schön aus: drittletzter.

Vielleicht sollte ich besser vom ersten von noch drei Urlaubstagen sprechen. Erster klingt nach Aufbruch, nach Verheißung und nach Anfang und dem wohnt bekanntlich ein Zauber inne.

Richtig gelingen will mir die Selbstsuggestion, die immer auch ein Stück Selbsttäuschung und Selbstbetrug ist, nicht. Ich habe so ein Sonntagsgefühl. Wo du frei hast, aber den ganzen Tag melancholisch bist, weil du morgen wieder arbeiten musst. Wir haben dagegen sogar noch drei Tage frei und am vierten müssen wir nicht arbeiten, sondern reisen und am fünften auch.

Das Booking.com sich weiterhin andauernd wegen unserer bevorstehenden Übernachtung in Avignon meldet, ist der Stimmung auch nicht gerade zuträglich. Dass unser Konto belastet wurde, wird mir per Mail und per App mitgeteilt, PayPal schickt mir eine Nachricht, um das zu bestätigen. Als hätten die beiden sich abgesprochen, um mir reinzudrücken, dass a) der Urlaub bald endet und wir b) tief in den Miesen stecke. Schönen Dank auch.

Booking.com will nun wissen, ob wir in Avignon etwas unternehmen wollen und vielleicht einen Mietwagen benötigen. Wir halten uns für eine Nacht dort auf, von 21.30 Uhr bis 8 Uhr am nächsten Morgen, und das Hotel ist 800 Meter vom Bahnhof entfernt. Deswegen lauten meine Antworten: nein und nein.

###

Stippvisite im Supermarkt. Dort herrscht ebenfalls eine komische Atmosphäre. Nur ganz wenige Kund*innen im Laden, die Regale sind nur spärlich bestückt, ein junger Mann preist lustlos Cornflakes-Packungen aus. Erinnert irgendwie an die Corona-Zeit. Nur dass die Mitarbeiter*innen damals nicht lustlos, sondern super gestresst waren und gar keine Zeit für Lustlosigkeit hatten.

Kaufe auf dem Heimweg in einem Souvenirladen Postkarten. Das muss ja auch langsam mal erledigt werden, das mit dem Postkarten schreiben. (Stichwort: drittletzter Urlaubstag) Damit alle Daheimgebliebenen wissen, dass man eine gute Zeit hat und neidisch auf das gute Wetter und das leckere Essen sind.

In den letzten Urlauben war das Postkartenschreiben ein Desaster. Im vorigen Jahr in Portugal fand ich in dem kleinen Örtchen, in dem wir wohnten, keinen Briefkasten und im Flughafen von Lissabon vergaß ich, die Karten einzuwerfen. In Cassis (2022) kann ich mich nicht erinnern, überhaupt Karten geschrieben zu haben, und auf Sardinien (2021) dachte ich weder am letzten Tag in Santa Teresa noch am Flughafen in Olbia daran, die Karten abzuschicken. (Circa drei Monate später fand ich sie auf meinem Schreibtisch unter einem Stapel von Dokumenten.)

An dem Ständer vor dem Laden suche ich acht Karten aus und gehe damit zur Kasse. Dort steht der Mann, bei dem wir die Taucherbrille gekauft hatten, und begrüßt mich mit einem fröhlichen „How are you, my friend?“ Dann tippt er auf seinem Taschenrechner rum und verlangt für die acht Karten inklusive Porto 23,60 Euro.

Ein ziemlich stolzer Preis, aber ich möchte nicht nachfragen, ob er sich verrechnet hat. Weil er so freundlich gegrüßt hat und mich „my friend“ genannt hat. Und weil ich konfliktscheu bin.

Vielleicht ist das Porto in Spanien einfach unfassbar teuer. An den Karten kann es nicht liegen. Die Motive sind von begrenzter ästhetischer Qualität. Eher so „Fotowettbewerb 6. Klasse“. Die ehemals glänzende Oberfläche ist stumpf und die Farben leicht vergilbt. Wahrscheinlich verkauft der Mann nicht allzu viele Ansichtskarten.

Dass er meine Briefmarken von einem unbenutzten 50er-Bogen abtrennt, spricht ebenfalls für diese These. Ich habe keine Ahnung, was die Marken kosten, auf ihnen steht keine Währung, sondern lediglich Tarifa B. (B für „besonders teuer“?) Das Motiv ist eine Geschäftsfrau mit Aktentasche, die durch eine Art Flughafenwartebereich läuft und dabei mit ihrem Handy videotelefoniert. Durch die bodentiefen Fenster sind draußen Baukräne zu sehen. Keine Ahnung, was mir das sagen soll. Vermutlich weiß das nicht einmal der Briefmarkenmotiv-Designer selbst.

Zum Abschied weist mich mein Souvenir-Laden-Freund auf den Briefkasten vor seinem Geschäft hin. Er verkauft also nicht nur Postkarten und Briefmarken, sondern bietet Beratungsdienstleistungen rund ums Versand- und Logistikgeschäft an. Da sind dann 23,60 Euro für acht Postkarten doch gerechtfertigt.

Der Kauf des Fake-Real-Trikots hat Begehrlichkeiten beim Nachwuchs plus Anhang geweckt und wir wurden beauftragt, weitere Shirts zu besorgen. Wir gehen zum gleichen Händler wie letzten Sonntag, er ist der Fake-Trikot-Verkäufer unseres Vertrauens.

Für sozial herausgeforderte Menschen ist es hilfreich, auf Bewährtes zurückzugreifen. Das schafft Verlässlichkeit, Vertrauen und Sicherheit. Selbst wenn das Bewährte darin besteht, den gleichen Fake-Shirt-Verkäufer wie beim letzten Mal aufzusuchen.

Wir kaufen diverse Heim- und Auswärtstrikots der deutschen Nationalmannschaft sowie eins des spanischen Teams. Aufgrund der Menge bekommen wir Rabatt. 20 Euro pro Shirt statt 25. Ich bin versucht, dem Verkäufer 20 Euro zuzustecken, aber wahrscheinlich müsste er die sowieso an jemanden anderen abdrücken.

Ich gehe mit dem Gefühl weg, der raffgierigen, unverschämten Fußballtrikot-Industrie eins ausgewischt zu haben, aber gleichzeitig ein anderes Schweinesystem gestützt zu haben, das unter anderem die prekäre Situation von Geflüchteten ausnutzt.

Das Wetter verhält sich weiter merkwürdig. Auf der Höhe von Cambrils sieht der Himmel aus, als ginge gleich die Welt unter und als kämen jeden Moment die apokalyptischen Reiter durch die Wolken geritten. Über Salou dagegen, nur fünf Kilometer entfernt, herrlicher Sonnenschein. Bei uns, ungefähr in der Mitte der beiden Orte, ist das zu beobachten, was in der Wettervorhersage als ein Mix von Sonne und Wolken bezeichnet wird.

Zum Abendessen zieht es sich zu und der Wind wird stärker. Daher eingeschränkte Foto- und Filmaktivitäten am Strand. Lediglich ein Paar versucht sich an ein paar Schnappschüssen. Das funktioniert nur leidlich. Der Mann fotografiert seine Frau in den Wellen, sie wird von diesen fast umgeworfen. Ob das eine gute Bewertung in der Influencer Academy gibt? Ich glaube nicht.


Bilanz des Tages

  • 17,42 Kilometer gelaufen
  • 25.007 Schritte
  • 2 Pfeile auf Waden gesehen
  • 1 Gruß von einem oberkörperfreien Laufhünen
  • 43,50 Euro im Supermarkt ausgegeben
  • 8 Postkarten gekauft
  • 8 Postkarten geschrieben
  • 4 Fake-Trikots gekauft
  • 1 Kniffel (meine Frau)

Fortsetzung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert