Der alljährliche Urlaubsblog. Aus Spanien. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
Der Morgen präsentiert sich mit grauer Wolkendecke. Am Horizont sieht der Himmel aus wie das Nichts in „Die Unendliche Geschichte“. Aber es regnet nicht. Wo Nichts ist, kann kein Regen fallen.
Ich esse eine Banane. In der Ferne segelt auf dem Meer ein Segelboot ohne Segel. Heißt das dann überhaupt segeln?
Über den Strand spaziert eine Frau mit Stockschirm unter dem Arm. Wahrscheinlich weiß sie nicht, dass es im Nichts nicht regnet. Zeit für mich, laufen zu gehen, bevor ich noch mehr wirre Gedanken habe.
Heute sieht das Trainingsprogramm Zwei-Kilometer-Intervalle vor. (Deswegen die Banane.) Insgesamt vier Stück. (Trotzdem nur eine Banane.) Aber zuerst zwei Kilometer langsam aufwärmen und die Müdigkeit aus den Beinen laufen.
Während des ersten Intervalls überhole ich meine Frau, die einen Spaziergang nach Cambrils macht. Renne sie fast über den Haufen, weil sie plötzlich die Spur wechselt. (Stichwort fehlender Schulterblick.)
Zu Beginn des zweiten Intervalls laufe ich an einem Mann vorbei, der einen nach unten gerichteten Pfeil auf der rechten Wade tätowiert hat. (Pfeil im Sinne von Pfeil und Bogen, nicht einen Wegweiser.) Was soll uns dieses Tattoo sagen? Dass er pfeilschnell ist? Oder zeigt er sich verletzlich, weil der Pfeil auf seine Achillesferse deutet? Oder hat er eine Wette verloren?
Im dritten Intervall sehe ich einen anderen Mann mit Ritterhelm-Tattoo auf der linken Wade, der Helm ist von einem Pfeil durchbohrt. Was haben die spanischen Männer mit den Pfeilen? Vielleicht sind die beiden Teil eines Künstlerkollektivs und machen spektakuläre Performance-Kunst mit ihren pfeiltätowierten Waden. (Wie immer: Nicht sehr wahrscheinlich, aber trotzdem möglich.)
Kurz vor Ende des letzten Intervalls kommt mir ein hünenhafter, muskelbepackter Läufer mit freiem Oberkörper entgegen. Er nickt mir zu, ich freue mich unnormal.
Warum, Christian? Weil das hier so selten passiert, dass jemand grüßt? Heischt meine fragile Männlichkeit nach der Anerkennung durchtrainierter Alpha Dudes? Oder hatte ich in dem Moment einen Endorphinausstoß, weil der anstrengende Lauf gleich vorbei ist? So viele Möglichkeiten, so wenige Antworten.
Zuhause erzählt meine Frau, sie sei in Cambrils in eine Apotheke gegangen. (Sie brauchte eine Salbe für die von den billigen Flip-Flops aufgeschubberte Stelle an ihrem Fuß. Ich finde langsam übertreibt Karma es ein wenig mit der Bestrafung, weil sie sich über die schlurfenden Frauen mokiert hat.)
Die Apothekerin hätte sie auf Spanisch angesprochen, weil sie meine Frau für eine Spanierin hielt. Sie fand das schmeichelhaft, ich war mir da nicht so sicher. Vielleicht hat meine Frau die Apothekerin an ihre Großmutter erinnert. Das wars dann ganz schnell mit dem Schmeichelhaften.
Meine Frau ist für diese Argumentation aber nicht besonders zugänglich. Genauso wenig wie für meinen Hinweis, das sei vielleicht nicht sehr wahrscheinlich, aber deswegen trotzdem möglich.
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Merkwürdiger Tag. Gestern war für heute Regen angesagt, jetzt ist der Himmel nur leicht bewölkt und die Sonne scheint. Es ist auch warm genug für einen Strandbesuch. Das haben wir aber nicht geplant, wir hatten uns sogar noch gar nichts vorgenommen, und wir sind Ende 40 und da bist du nicht mehr so flexibel, dass du spontan Pläne umschmeißt, die du gar nicht gemacht hast, oder neue schmiedest.
Möglicherweise liegt die komische Stimmung daran, dass heute der drittletzte Urlaubstag ist. Das klingt nicht schön: drittletzter. Niedergeschrieben sieht das auch nicht schön aus: drittletzter.
Vielleicht sollte ich besser vom ersten von noch drei Urlaubstagen sprechen. Erster klingt nach Aufbruch, nach Verheißung und nach Anfang und dem wohnt bekanntlich ein Zauber inne.
Richtig gelingen will mir die Selbstsuggestion, die immer auch ein Stück Selbsttäuschung und Selbstbetrug ist, nicht. Ich habe so ein Sonntagsgefühl. Wo du frei hast, aber den ganzen Tag melancholisch bist, weil du morgen wieder arbeiten musst. Wir haben dagegen sogar noch drei Tage frei und am vierten müssen wir nicht arbeiten, sondern reisen und am fünften auch.
Das Booking.com sich weiterhin andauernd wegen unserer bevorstehenden Übernachtung in Avignon meldet, ist der Stimmung auch nicht gerade zuträglich. Dass unser Konto belastet wurde, wird mir per Mail und per App mitgeteilt, PayPal schickt mir eine Nachricht, um das zu bestätigen. Als hätten die beiden sich abgesprochen, um mir reinzudrücken, dass a) der Urlaub bald endet und wir b) tief in den Miesen stecke. Schönen Dank auch.
Booking.com will nun wissen, ob wir in Avignon etwas unternehmen wollen und vielleicht einen Mietwagen benötigen. Wir halten uns für eine Nacht dort auf, von 21.30 Uhr bis 8 Uhr am nächsten Morgen, und das Hotel ist 800 Meter vom Bahnhof entfernt. Deswegen lauten meine Antworten: nein und nein.
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Stippvisite im Supermarkt. Dort herrscht ebenfalls eine komische Atmosphäre. Nur ganz wenige Kund*innen im Laden, die Regale sind nur spärlich bestückt, ein junger Mann preist lustlos Cornflakes-Packungen aus. Erinnert irgendwie an die Corona-Zeit. Nur dass die Mitarbeiter*innen damals nicht lustlos, sondern super gestresst waren und gar keine Zeit für Lustlosigkeit hatten.
Alle Beiträge des ¡Hola España!-Blogs finden Sie hier:
- Vorbereitung (03.09.): Zurück in die Vergangenheit
- Anreise (04.09.): Auf Kaffeefahrt mit der Deutschen Bahn
- Barcelona (1) (05.09.): Immer geradeaus
- Barcelona (2) (06.09.): Saubere Brillen und wütende Kartoffeln
- Ankunft (07.09.): Blick aufs Meer (und ein bisschen Parkplatz)
- Tag 01 (08.09.): Lauf, Christian, lauf
- Tag 02 (09.09.): Do you need a good one or a normal one?
- Tag 03 (10.09.): Dem Meer ist alles egal
- Tag 04 (11.09.): Nationalfeiertagsfeierlichkeiten Fehlanzeige
- Tag 05 (12.09.): Vom Winde gemobbt
- Tag 06 (13.09.): Mein Name ist nicht Bond
- Tag 07 (14.09.): Man spricht kein Deutsch
- Tag 08 (15.09.): Das ganze Leben ist ein Fake. (Zumindest auf der Strandpromenade Richtung Salou)
- Tag 09 (16.09.): Ein Hollywood-Blockbuster für einen Käsekuchen
- Tag 10 (17.09.): Der mittelalte weiße Mann und das Meer
- Tag 11 (18.09.): Kein Regen im Nichts
- Tag 12 (19.09.): Helga, die Schreckliche
- Tag 13 (20.09.): Ein nasser Abschied
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)