Cassis 2022 – Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.

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Ratsch! Ratsch! Ratsch!

Kurz vor sieben. Die Zikaden sind aufgewacht. Und ich damit auch.

Im Vergleich zu Städten werden ländliche Gegenden gemeinhin als Oasen der Ruhe und der Stille gerühmt. In erster Linie von Menschen, die noch nie in ländlichen Gegenden waren.

Ratsch! Ratsch! Ratsch!

In und um Cassis ist es mit der ländlichen Ruhe und Stille nicht weit her. Dafür sorgen die Zikaden. Ihr Zirpen ist ein beständiger Klangteppich, ein allgegenwärtiger Hintergrund-Soundtrack. Morgens, wenn die Sonne aufgeht, fangen sie mit der Zirperei an, und erst abends, wenn die Sonne verschwindet, hören sie auf.

Ratsch! Ratsch! Ratsch!

Das Wort „Zirpen“ vermittelt nur unzureichend, was für Geräusche die Zikaden den ganzen Tag produzieren. Es ist eine Mischung aus Kreischen, Brüllen und Zetern, während jemand eifrig ein Stück Metall über eine Küchenreibe zieht. Selten in piano, sondern fast ausschließlich fortissimo.

Ratsch! Ratsch! Ratsch!

Aus mir unerklärlichen Gründen heißt die Zikadenart, die hier in der Gegend lebt, Singzikaden. Eine veritable Wort-Ton-Schere. Wer auch immer die Bezeichnung Singzikaden eingeführt hat, hat vermutlich noch nie gehört, wie jemand singt. Die Geräusche, die Zikaden fabrizieren, haben mit Gesang so viel zu tun wie ein Klo bei einer Brechdurchfall-Erkrankung mit expressionistischer Malerei. (Vergleiche wie dieser sind der Grund, warum Sie für die Beiträge hier nichts bezahlen müssen.)

Dauerbrüllende Schreizikade wäre ein viel zutreffenderer Name. Aber mich fragt ja niemand.

Ratsch! Ratsch! Ratsch!

Für den Zikaden-Lärm sind – wie sollte es anders sein – die Männchen zuständig. In der Antike schrieb der griechische Dichter Xenarchos: „Glücklich leben die Zikaden, denn sie haben stumme Weiber.“ Wäre Xenarchos eine Frau gewesen, wäre ihr Urteil sicherlich anders ausgefallen: „Unglücklich leben die Zikadinnen, denn ihre Männer halten einfach nie ihre verdammten Fressen.“

Ratsch! Ratsch! Ratsch!

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Cassis 2022 – Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher. (Teil 2)

Teil 1


Sofort als wir am Strand ankommen, geht der Rest der Familie ins Wasser. Ich bleibe bei unseren Sachen. Einer muss die ja bewachen. Vor allem, wenn einer ohnehin keine Lust aufs Wasser hat.

Ich nutze die Gelegenheit und schaue ein wenig rum. Macht man im Alltag ja viel zu selten. Einfach mal rumschauen. Wobei das bei mir gar nicht stimmt. Mein Schreibtisch steht vor einem großen Fenster und davor steht wiederum ein großer Baum. Mehrmals am Tag flattern da Vögel rein, das schaue ich mir an und denke dabei: „Och wie schön, Vögel.“ Die Vögel schauen dann zurück. Aber nicht so, als würden sie denken: „Och wie schön, ein Mensch!“ Eher so etwas wie: „Da glotzter wieder, der komische Typ. Scheiß Creep!“

Zurück zum Strand. Auf der linken Seite gibt es hier eine große Klippe, auf der eine Burg steht. Wahrscheinlich die Burg, von der ich gelesen habe, dass sie zu luxuriösen Ferienwohnungen umgebaut wurde und nicht zu besichtigen ist.

Als Kind habe ich mir häufig vorgestellt, wie es wäre, in einem Schloss zu leben und gedacht, wie toll das wäre, so viele Zimmer zu haben, in denen du spielen kannst. Als Erwachsener stelle ich mir immer noch unnormal häufig vor, wie es wäre in einem Schloss zu leben, denke dabei aber eher, wie aufwändig es wäre, so viele Zimmer sauber zu halten.

In Westerburg, wo ich aufgewachsen bin, gibt es sogar ein Schloss. In dem lebte bis Anfang der 1990er Jahre noch ein Graf. Als er verstarb, stand das Schloss zum Verkauf. Für 10.000 D-Mark, wenn ich mich richtig erinnere. Ich fand es recht enttäuschend, dass meine Eltern bei dem Preis nicht zugeschlagen haben. Gut, die Sanierung hätte einen siebenstelligen Betrag gekostet, aber wir hätten in einem Schloss wohnen können!

Auf der Website des Anbieters der luxuriösen Ferienwohnungen steht, dass die Standard Suite Camille 350 Euro die Nacht kostet. Für zwei Personen. Das heißt, die Kinder könnten nicht mitkommen. Ich muss überlegen. Bei dem Preis könnten wir uns aber nur fünf bis sechs Tage leisten. Ein bisschen kurz für einen Urlaub. Außerdem bietet die Suite nur einen kleinen Blick aufs Meer und die Stadt. Ein bisschen wenig für das Geld.

Von der Junior Suite Jean-Baptiste hast du dagegen eine reizende Aussicht auf die Calanque und den Hafen. Kostet aber 590 Tacken pro Nacht. Das heißt nur drei Tage Urlaub. Die Superior Suite Chloé, die sich für mich ein wenig nach Rotlicht-Etablissement anhört, punktet mit einem wunderschönen Meerblick. Für den musst du pro Nacht allerdings 720 Euro berappen. Wird wohl nichts mit uns und einer Übernachtung in den luxuriösen Ferienwohnungen.

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Wenn du Strandurlaub machst, kannst du aber nicht den ganzen Tag über Burgen und Schlösser sinnieren. Irgendwann musst du auch mal ins Meer gehen. Sonst kommen von der Familie leicht vorwurfsvolle Fragen à la „Willst du gar nicht ins Wasser?“ und wer will sich im Urlaub schon Vorwürfe anhören.

Also pritsche ich mir mit dem Sohn im Wasser den Beach-Volleyball zu. Wir wollen uns aber nicht nur einfach zupritschen, sondern einen neuen familieninternen Weltrekord im Dauerpritschen aufstellen. Der liegt bei sagenhaften 279 Wiederholungen, aufgestellt letztes Jahr auf Sardinien.

Das ist bei uns in der Familie immer so. Wir müssen aus allem einen Wettbewerb machen. Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht weil ich als Kind gerne Olympische Spiele geschaut habe, bei Sportwettkämpfen aber nie sonderlich gut abgeschnitten habe. (Ich kann Sie aber beruhigen, dass wir zumindest keinen überdimensionierten, Champions-League-würdigen Pokal fürs Dauerpritschen haben. Noch nicht.)

Heute läuft das mit dem Pritschen noch nicht so richtig rund. Wir kommen auf lediglich 62 Wiederholungen. Die Rahmenbedingungen sind etwas gewöhnungsbedürftig. Das Wasser ist tiefer als auf Sardinien, der Wellengang etwas höher und der Steinboden etwas unebener, was die Standfestigkeit erschwert. Außerdem scheint mir der Sohn etwas unaufmerksam zu sein. Er konzentriert sich weniger auf den Ball, sondern mehr auf eine Gruppe von Teenagerinnen, die hinter mir ins Wasser steigt. Da wird es dann schwer mit dem neuen Dauerpritschen-Weltrekord.

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Beim abendlichen Kniffeln sind uns die Würfel gewogen. Die Tochter erzielt 263 Punkte, was aber nur zum vierten Platz reicht. Meine Frau kommt mit 310 nur auf den dritten Platz. Der Sohn wirft zwei Kniffel, womit er zwar 389 Punkte erreicht, aber trotzdem nicht gewinnt, weil ich ebenfalls zwei Kniffel und dazu – im Gegensatz zu ihm – auch die Große Straße werfe. Das bedeutet insgesamt 424 Punkte und den Tagessieg.

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Mond über Cassis

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Cassis 2022 – Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.

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6.30 Uhr. Ich wache auf. Für den Urlaub ein wenig früh. Aber immerhin eine halbe Stunde später, als der Wecker in Berlin geklingelt hat. (Ich habe bewusst nicht die Formulierung „eine halbe Stunde später, als der Wecker normalerweise in Berlin klingelt“ gewählt. Freitagmorgen habe ich nämlich vergessen, den Wecker auszustellen. Das heißt, er ist heute früh um 6 Uhr losgegangen. Und das wird er auch die nächsten zwei Wochen tun.)

Das frühe Aufwachen hat aber sein Gutes: Ich will heute das erste Mal laufen gehen. Bei den Temperaturen hier ist es besser, früher als später zu starten. Aber auch nicht zu früh. Im Urlaub um halb sieben zu joggen, hat so etwas unsympathisch Überambitionier­tes. Als wärst du deine eigene Eiskunstlauf-Mutter, die dich zu Höchstleistungen quält. Ich mache mir erstmal einen Kaffee.

Heute läuft es mit der Kaffeemaschine und mir tadellos. Ich stelle ihr Strom, Wasser und Kapseln zur Verfügung, sie gibt mir Kaffee. Bin mir allerdings nicht sicher, ob ich jetzt tatsächlich weiß, wie die Maschine funktioniert. Wahrscheinlich denkt die sich, bevor der Typ wieder kurz vorm Melt-Down steht, gebe ich ihm einfach Kaffee und dann kann er glauben, er wüsste, wie ich zu bedienen bin. (*zwinkizwonki*) Um ehrlich zu sein, ist mir das egal. Hauptsache ich habe Kaffee!

Ich gehe auf den Balkon und bringe meiner Frau einen Kaffee mit. (Kleine Aufmerksamkeiten erhalten bekanntlich die Ehe.) Sie kann ihn gut gebrauchen, sie ist schon seit 5 Uhr wach. (Stammleserinnen wissen, dass meine Frau viel älter ist als ich. In ihrem Alter brauchst du nicht mehr so viel Schlaf und wachst früh auf. Meine Frau wird das natürlich alles abstreiten. Sie wissen schon, der Altersstarrsinn!)

Wir schweigen ein wenig gemeinsam, genießen den Ausblick, trinken unseren Kaffee und lesen zwischendurch ein bisschen Internet.

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Cassis 2022 – Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm. (Teil 2)

Teil 1


Wie zu erwarten war, gestaltet sich der Rückweg zur Ferienwohnung erheblich anstrengender als der Hinweg. Denn wie heißt es so schön: Wer runter geht, muss auch wieder hoch gehen. „Hoch gehen“ trifft es eigentlich nicht richtig, denn es ist eher ein „steil gehen“. (Fragwürdige Wortspiele wie diese sind der Grund, warum der Blog kostenlos ist.)

Falls Sie regelmäßig Tour de France schauen, kennen Sie vielleicht den Mont Ventoux. Der hat eine Steigung von bis zu 13,3 Prozent und die Fahrer müssen bei der Überquerung fast 1.600 Höhenmeter absolvieren. Das ist der Berg, den Lance Armstrong immer in einem Höllentempo hochgerast ist, als wäre er bis in die Haarspitzen mit Epo vollgepumpt gewesen. (Oh, wait!?!)

Der Anstieg zu unserer Ferienwohnung ist quasi der Mont Ventoux der kleinen Urlaubenden. Er fängt steil an, dann wird es steiler, anschließend noch steiler und zum Schluss gibt es eine Treppe mit fast 100 Stufen. Und wir müssen die Strecke ohne Epo absolvieren. Dafür haben wir Baguettes und Croissants. Die dürfen wir aber erst zum Frühstück essen. (Mental note: Morgen Weg-Croissant kaufen.)

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Nach dem Frühstück bereiten wir uns auf ersten Strandbesuch vor. Direkt in Cassis gibt es zwei Strände. Der eine ist in der Nähe des Hafens und wird größtenteils von Familien frequentiert, der andere ist etwas weiter weg und dort baden vermehrt jüngere Menschen. Da es keinen Senior*innenstrand gibt, sehe ich mich demographisch eher am Familienstrand.

Strand. Noch leer.

Beide Strände sind Steinstrände. Wir haben noch nie an einem Steinstrand Urlaub gemacht und waren skeptisch, ob das nicht total unbequem ist. Das ist glücklicherweise nicht der Fall. Du liegst da sogar ausgesprochen gut. Und das schreibe ich nicht nur, um mir das schönzureden beziehungsweise schönzuschreiben. Es wäre natürlich ein riesiger Bockmist, 1.500 Kilometer zu verreisen, um dann am Strand wie auf einem beschissenen Nagelbrett zu liegen.

Der unschätzbare Vorteil eines Steinstrandes liegt darin, dass nicht überall an dir – und in dir – Sand klebt. Den schleppst du abends mit in deine Unterkunft, wo er sich kürzester Zeit bis in jeden letzten Winkel ausbreitet, so dass du recht bald einen eigenen Indoor-Strand hast. Der große Nachteil des Steinstrandes besteht allerdings darin, dass du keine Sandburgen bauen kannst. Da unsere Kinder dem Sandburgenbauen-Alter entwachsen sind, kümmert uns das nicht.

Als wir den Strand kurz nach zwölf erreichen, ist der schon ziemlich gut gefüllt. Aber kein Vergleich zu Sardinien vor vier Jahren. Da waren wir Anfang August, wenn ganz Italien Urlaub hat und ganz Italien ans Meer fährt und ganz Italien am Strand liegt. Handtuch an Handtuch an Handtuch an Handtuch.

So voll ist es hier am Strand bei weitem nicht. Es gibt schon noch das ein oder andere Fleckchen, wo wir uns gut hinlegen können. Zumindest nach italienischen Maßstäben. Französ*innen mögen es dagegen vielleicht nicht so gerne, wenn Wildfremde ihre Handtücher zweieinhalb Zentimetern neben ihnen ausbreiten. Auf Sardinien war das durchaus üblich und sozial vollkommen akzeptiert.

Die Kinder durchlaufen am Strand eine erstaunliche Metamorphose. Mit 18 und fast 16 sind sie für ausgelassene Strandaktivitäten eigentlich zu alt. Kaum erblicken sie aber das Meer, verwandeln sie sich in junge Hunde, die ins Wasser und herumtollen und Ball spielen wollen. Ungünstigerweise erwarten sie von ihrem Herrchen beziehungsweise Vater, dass er mitspielt.

Das passt nicht ganz zu meiner eigenen Strandmetamorphose. Sobald mein Körper das Strandtuch berührt, werden Botenstoffe an mein Gehirn gesandt, die signalisieren, meinen Stoffwechsel runterzufahren, bis nur noch die lebenswichtigen Organe im Sparbetrieb laufen. Der Rest meines Körpers befindet sich dann in einer Art Stase und ist nur noch eine träge, amorphe Masse. Ein Zellklumpen, der vor sich hinvegetiert, aber sich nicht in der Lage fühlt, ins Wasser zu gehen oder gar Ball zu spielen. Schließlich bin ich im Urlaub!

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Ich gewinne das abendliche Kniffelspiel mit einem Punkt Vorsprung vor dem Sohn. Damit bleibt er in der Gesamtwertung Erster und ich Dritter. Der Tochter gelingt das Kunststück exakt die gleiche Punktzahl wie gestern zu erzielen. Das ist aber kein Grund zur übermäßigen Freude, denn es sind nur 193.


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Cassis 2022 – Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.

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„Fuck, fuck, fuck! Was ist das für eine verfickte Scheiße?“

Für einen ersten Morgen in der Ferienwohnung ein unangemessen unentspannter und geradezu aggressiver Ausbruch meinerseits. Das hat aber einen guten Grund. Seit fast einer Viertelstunde versuche ich, der Nespressomaschine einen Kaffee zu entlocken. Sie verweigert sich beharrlich.

Okay, beim ersten Mal war der Wassertank leer. Da konnte dann selbstverständlich kein Kaffee gekocht werden. Das war mein Fehler, das nehme ich auf meine Kappe. Die Nespressomaschine trifft da keine Schuld. Allerdings hätte sie mich auch freundlich darauf hinweisen können, anstatt nur unmotiviert mit ihrem An-/Aus-Knopf rumzufunzeln.

Auch nachdem ich Wasser nachgefüllt hatte, lief jedoch kein Kaffee. Aus der vorgesehenen Öffnung kam nur Wasser. Das wies nicht einmal den Hauch einer bräunlichen Färbung auf, so dass du es selbst mit gutem Willen nicht als Kaffeegetränk bezeichnen konntest.

Auch der zweite bis vierte Versuch führte zu dem gleichen Ergebnis: Ich drückte auf den Kaffeeknopf, heraus kam klares, durchsichtiges Wasser. Inzwischen war ich überzeugt, dass sich ein Dämon in Nespressomaschinen-Gestalt zum Ziel gesetzt hat, mich in den Wahnsinn zu treiben. Da kann es dann auch im Urlaub mal zu einer kleinen Verbaleruption kommen.

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Cassis 2022 – Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.

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„Wollen Sie noch Frühstück dazu nehmen?“

Das hatte mich gestern Abend der Portier beim Einchecken gefragt. Wollte ich eigentlich nicht. Deswegen hatte ich das ursprünglich nicht mitgebucht. Weil ich dachte, das bekommen wir in einem Café bestimmt günstiger und das freut die Urlaubskasse.

„Kostet nur zehn Euro pro Person“, schob der Portier als Argument für das Frühstück hinterher. Also willigte ich ein. Schließlich wollte ich weder vor ihm noch vor dem Rest der Familie wie ein knauseriger Pfennigfuchser dastehen und das muss dann auch die Urlaubskasse verstehen.

Nun stehen wir im Essensraum und verschaffen uns einen Überblick. Die Tische stehen eng an eng. So können beim Frühstück möglichst viele Gäste gleichzeitig abgefrühstückt werden. (Wortspiele wie dieses sind der Grund, warum die Beiträge hier kostenlos sind.)

Das Buffet ist nicht übermäßig lang, aber reichlich bestückt. Mit Baguettes, Croissants, Brioches, Cornflakes, Müsli, Käse- und Wurstaufschnitt, verschiedenen Marmeladen, Honig, Karamell- und Schoko-Cremes, mehreren Joghurtsorten, Bechern mit geschnittenem Obst und diversen Kaffeespezialitäten aus dem Vollautomaten sowie A- und O-Saft. Auf einem Extratisch in der Ecke stehen etwas verschämt auch noch Rührei, gebratener Schinken und Würstchen.

Bei dieser Auswahl können wir uns die zehn Euro locker zurückholen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis scheitert dieses Vorhaben bei mir kläglich. Direkt neben uns sitzen drei Männer und weil unsere Tische so dicht beieinanderstehen, muss ich ihnen beim Aufstehen entweder meinen Hintern oder meinen Penis ins Gesicht drücken. Da ich ihnen nicht das Frühstück und den restlichen Tag vermiesen möchte, hole ich mir lediglich einmal etwas am Buffet nach.

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Cassis 2022 – Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen. (Teil 2)

Teil 1


In der Stadt gibt es relativ wenige Shops von internationalen Marken oder Modeketten, sondern viele lokale und französische Geschäfte. Finde ich ganz gut, wenn Innenstädte nicht überall gleich aussehen. So einheitlich und genormt. Sonst müsste ich nicht nach Frankreich fahren, sondern könnte auch durch Wanne-Eickel, Bitterfeld oder Bromskirchen flanieren.

Bei einigen Geschäften kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob dort Parfüms und Seifen oder erlesene Pralinen und exquisites Gebäck verkauft werden. Oder beides. Hauptsache es schmeckt.

Ich möchte mit den Brioches Brüdern befreundet sein.

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Zum Abschluss und nicht zur uneingeschränkten Begeisterung des Sohns laufen wir zu einer weiteren Kirche, zur Cathédrale de la Major. Er verzichtet darauf, mit uns reinzugehen, sondern besichtigt in seinem Smartphone lieber die neuesten TikTok-Videos und Instagram-Storys.

Als wir die Kathedrale wieder verlassen, rutscht gerade eine ältere, leicht dickliche Italienerin am Ende der Treppe aus und sitzt nun auf ihrem Allerwertesten. Zum Glück ist ihr nichts Schlimmes passiert. Ihre größte Pein ist die Verwandtschaft, die in heller Aufregung, wild schnatternd um sie herumsteht und ihr aufhelfen will. Der Frau missfällt das um sie gemachte Aufheben und sie reagiert auf die Hilfsangebote recht unwirsch. Sie will in Ruhe gelassen werden und allein aufstehen. Vielleicht will sie auch in Ruhe gelassen werden und sitzen bleiben. Ist ja schließlich Urlaub.

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Gegen 16 Uhr fahren wir mit dem Regionalzug nach Cassis. Vom Bahnhof zu unserer Ferienwohnung ist es ein kleiner Fußmarsch. Aber nur gut 1.000 Meter. Also, alles im Rahmen des Machbaren. Selbst mit schwerem Rucksack und großen Koffern.

Dachten wir zumindest. Als meine Frau Google Maps für die Route konsultiert, wird die Entfernung plötzlich mit 2.500 Metern angegeben. Obwohl der Sohn im Laufe des Tages bereits tausende von Schritten durch Marseille gegangen ist und 2.500 Meter das monatliche Bewegungspensums eines Teenagers ist, hat er seine Gesichtszüge unter Kontrolle und nimmt die Nachricht regungslos entgegen. Oder bei den Worten „2.500 Meter“ ist irgendetwas in ihm gestorben und ihm fehlt der Lebenswillen, sein Gesicht zu verziehen.

Es stellt sich schnell heraus, dass nicht nur die zweieinhalb Kilometer Wegstrecke problematisch sind. Auch die Rahmenbedingungen sind alles andere als optimal. Es gibt größtenteils keine geteerten Bürgersteige und wir müssen unsere Koffer über staubige Stein- und Sandwege hinter uns herziehen. Um präzise zu sein, müssen meine Frau und der Sohn das tun. Ich dagegen trage unseren schweren Trekkingrucksack auf dem Rücken und einen weiteren vollgestopften kleineren Rucksack seitlich auf der Schulter. So wie sich meine Frau und der Sohn mit den Koffern abmühen, habe ich den Eindruck, trotzdem das bessere Los gezogen zu haben. In der Situation halte ich es aber nicht für hilfreich, ihnen dies mitzuteilen. Vor allem weil die beiden der Ansicht sind, dass ich mich am meisten abmühen muss.

Ab und an gibt es gar keinen Fußgängerweg, sondern nur einen kleinen abgesetzten Streifen an der Straße. Das hat den Vorteil, dass der Boden geteert ist, aber den Nachteil, dass die Autos recht nah an dir vorbeifahren.

Die Temperatur liegt bei über 30 Grad und es gibt nicht übermäßig viele Bäume, die Schatten spenden. Mit jedem Schritt werden die Koffer und Rucksäcke schwerer, die Rücken- und Armmuskulatur wird schwächer und die gute Laune und Urlaubsfreude machen sich irgendwo zwischen Kilometer 1 und 1,5 klammheimlich aus dem Staub.

Nach knapp 30 Minuten kommt es beinahe zu einem ehelichen Eklat. Meine Frau erklärt, die Tochter, die erst heute Abend nachkommt, könne diesen Weg unmöglich allein gehen. Am besten solle sie sich in Marseille ein Taxi nehmen. Nun ist Marseille mehr als 30 Kilometer von Cassis entfernt, was diesen Vorschlag in meinen Augen ein wenig abwegig erscheinen lässt. Dennoch möchte ich rückblickend zugeben, dass meine Reaktion nicht zu Unrecht als wenig konstruktiv und lösungsorientiert aufgefasst werden könnte.

„MIT DEM TAXI? VON MARSEILLE?“, frage ich. Die Lautstärke meiner Fragen entspricht nicht gänzlich den sozial akzeptierten Konversationsnormen. Dabei habe ich meine Gesichtszüge weit weniger gut unter Kontrolle als der Sohn eben am Bahnhof.

Meine Frau würdigt meine Fragen, die ohnehin mehr rhetorischer und noch mehr provokativer Natur waren, nicht mit einer Antwort. Sie erklärt, wir sollten schon mal vorgehen, sie benötige etwas Abstand. Und wahrscheinlich etwas Zeit, um zu recherchieren, was ein Taxi von Marseille nach Cassis kostet.

Nach fast 40 Minuten Fußmarsch finden wir den Ferienwohnungskomplex und nach weiteren fünf Minuten den Eingang zu unserem Appartement.

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Später schreibe ich der Tochter, sie solle sich am Bahnhof in Cassis ein Taxi nehmen. Ein schöner Kompromiss, wie ich finde. Friedensstiftend und geldsparend. Die Tochter fährt Taxi, aber keine 30 Kilometer. Falls sie keines mehr bekäme, solle sie mir Bescheid geben, schreibe ich weiter. Dann würde ich sie abholen und ihr mit dem Koffer helfen.

Als die Tochter die Nachricht liest, ist sie fast schon den kompletten Weg zur Ferienwohnung gelaufen und ich muss ihr nur noch knapp 200 Meter entgegengehen. Sie ist zwar etwas rot im Gesicht, aber dennoch frohgemut. Scheinbar hat sie unterwegs unsere gute Laune und Urlaubsfreude wiedergefunden und mitgebracht.

Cassis bei Abendrot

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Auch ausgedehnte Sightseeing-Spaziergänge, beschwerliche Wege vom Bahnhof und der Anflug von Zwietracht entbinden die Familie nicht, am ersten Urlaubstag das traditionelle Urlaubskniffel-Turnier zu starten. Der Sohn ist dieses Jahr Pokalverteidiger. Und wenn ich Pokal schreibe, meine ich auch Pokal. Im ersten Corona-Lockdown hatte ich in einem Anflug von Lagerkoller einen Champions-League-würdige Trophäe gekauft – nur von der Größe Champions-League-würdig, nicht vom Materialwert -, in deren Sockel seitdem die Gewinner*innen unserer Kniffel-Wettbewerbe graviert werden.

Neben der Verewigung auf dem Pokal geht es um ein Spaghetti-Eis aus der Waffel von der Eisdiele bei uns um die Ecke. Die Zweit- bis Viertplatzierten dürfen sich eine einzige Kugel Eis aussuchen. Das ist noch demütigender als gar kein Eis zu bekommen.

Der Sohn gewinnt das erste Spiel des Urlaubs, aber alle liegen noch nah beieinander. Da ist noch nichts passiert und alles offen.


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Cassis 2022 – Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort

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Kurz nach fünf. Wir werden aus dem Schlaf gerissen. Nicht vom Wecker, denn unser Zug fährt erst um urlaubsfreundliche 9.30 Uhr los. Sondern von einem Tauberich, der ebenso lautstark wie penetrant um Aufmerksamkeit gurrt. Ich wünschte, Taubenmännchen könnten Porsche fahren. Dann müssten sie nicht in aller Herrgottsfrühe rumblöken, um zu zeigen, was für tolle und horny Typen sie sind.

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Meine Frau und ich nutzen die gewonnene Zeit produktiv. Wir schmieren Sandwiches. Eine Menge Sandwiches. Schließlich sitzen wir heute gut zwölf Stunden im Zug und Teil unserer Reisegruppe ist ein dauerhungriger Teenager. (Sowie zwei Eltern, die auf Zugreisen das Fressverhalten ausgehungerter Pumas an den Tag legen.) Daher habe ich gestern zwei Laibe Toastbrot sowie Belag für vier Laibe gekauft. Dazu noch belgische Waffeln, Kekse, Chips, Nic-Nacs, Joghurt-Gums und Kaugummis. Heißt ja nicht umsonst, dass Zugluft hungrig macht.

Bevor wir aufbrechen, bringe ich den Müll runter. Vor ein paar Jahren hatten wir das mal vergessen. In unserer Abwesenheit entstand im Mülleimer eine neue Lebensform, die bei unserer Rückkehr kurz davor war, sich in der Küche auszubreiten und anschließend die gesamte Wohnung zu übernehmen.

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Cassis 2022 – Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden (Teil 2)

Teil 1


Schon seit ein paar Tagen richten wir unsere Klamotten für den Urlaub. Das ist jedes Jahr das gleiche. Die Lieblingsklamotten reservierst du für den Urlaub und dann trägst du die Tage bis zur Abreise löchrige, ausgeleierte T-Shirts, die nicht einmal gut genug für den Altkleider-Container sind, und ausgebeulte Hosen mit Flecken, von denen du nicht weißt, wie sie entstanden sind und die seit Jahren nicht rausgehen.

Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, nicht so viele Kleidungsstücke mitzunehmen. Eine lange Hose reicht vollkommen aus. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir in ein schickes Restaurant gehen wollen, in dem versnobte Kellner*innen das Tragen von kurzen Hosen missbilligen. Mehr als fünf T-Shirts, Shorts und Unterhosen benötige ich auch nicht. In der Ferienwohnung gibt es eine Waschmaschine und bei den Temperaturen in Südfrankreich trocknet die Wäsche innerhalb von ein paar Stunden. Ich gehe allerdings davon aus, dass meine Entscheidung für eine minimalistische Urlaubsgarderobe eine Schmetterlingsflügelschlag-Kettenreaktion in Gang setzen wird. Diese verursacht einen vierzehntägigen Kälteeinbruch in der Provence und führt gleichzeitig dazu, dass die Ferienwohnung-Waschmaschine irreparabel kaputt geht.

Ich schaue mir meinen überschaubaren Klamottenstapel an. Mich beschleicht das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Wobei es nicht so schlimm sein kann wie bei dem Kollegen meiner Frau. Der hat ihr kürzlich erzählt, wie seine Mutter einmal für einen Urlaub die Koffer gepackt hatte und sein Vater dann vergaß, diese ins Auto zu laden. (You had one job!) Das fiel aber erst bei der Ankunft im Urlaubsort auf. Da startet der Urlaub bestimmt nicht besonders harmonisch, wenn du den Kofferraum öffnest und feststellst, dass die ganze Familie die nächsten vierzehn Tage nichts zum Anziehen hast.

Meine Frau packt unsere Urlaubsklamotten in die Koffer und unseren großen Trekkingrucksack. Das liest sich jetzt ein wenig so, als sei ich zu faul oder zu blöd dafür. Dagegen verwehre ich mich. Meine Frau besteht darauf, das zu machen, weil sie eine besondere Rolltechnik perfektioniert habe, durch die sie möglichst viele Kleidungsstücke in möglichst wenig Koffer- und Rucksackplatz unterbekommt. (Das ist auch nötig, weil sie sich für eine in meinen Augen eher maximalistische Urlaubsgarderobe entschieden hat. Aber das nur am Rande.)

Unterdessen suche ich noch ein paar Utensilien für sportliche Strandaktivitäten zusammen. In dem Schrank, wo wir dafür erforderliches Gerät aufbewahren, finde ich unfassbar viele Beach-Tennisschläger. Anscheinend haben wir in jedem zweiten Urlaub ein neues Set gekauft. Unser Schrank sieht aus, als hätten wir einen exklusiven Generalvertrieb für Beach-Tennisschläger, der ganz Europa beliefert.

Dafür haben wir nur einen einzigen Beach-Volleyball. Dabei bin ich mir sicher, mindestens jeden zweiten Urlaub einen neuen gekauft zu haben. Den mussten wir dann immer in der Ferienwohnung zurücklassen, weil Beach-Volleybälle so schlecht zu transportieren sind.

Ich richte eines der Beach-Tennisschläger-Sets – vielleicht vergessen wir das am Ende des Urlaubs einfach in der Ferienwohnung, um unseren Schrank zu entlasten – sowie den Beach-Volleyball, der praktischerweise gerade ziemlich platt ist. Dadurch nimmt er nicht so viel Platz in dem Trekking-Rucksack ein. Allerdings muss ich nun auch eine unserer Ballpumpen einpacken. Von denen besitzen wir aus Gründen, die mir unbekannt sind, drei Stück.

Einen kleinen Ball, der gut auf dem Wasser titscht, nehme ich ebenfalls mit. Falls uns im Urlaub danach ist, einen Ball auf dem Wasser titschen zu lassen. Man kann ja nie wissen.

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Als nächstes drucke ich unsere Reisunterlagen aus, denn die Transportlogistik für unseren Urlaub fiel in meinen Verantwortungsbereich. Um die Recherche und Buchung der Wohnung hat sich dagegen meine Frau gekümmert. Das zählt in unserer durch streng funktionale Arbeitsteilung gekennzeichneten Ehe traditionell zu ihren Aufgaben und sie hat ein wirklich sehr gutes Händchen für die Auswahl von sehr guten Urlaubsdomizilen. Mir obliegt es dagegen, Bedenken über die etwaigen Kosten der Unterkünfte zu äußern, wofür ich ebenfalls ein gutes Händchen habe. Das findet aber nur selten lobende Anerkennung – eigentlich nie –, sondern du hast da schnell den Ruf der geizigen Spaßbremse weg.

Die Organisation der Anreise ist ziemlich aufwändig und anspruchsvoll. Vor allem, wenn du nicht fliegst, sondern mit dem Zug fährst. Du musst dazu neben der Bahn-Website verschiedene Internet-Plattformen für europäische Zugverbindungen sowie die Internetseiten der Zuggesellschaft in deinem Urlaubsland konsultieren, in mehreren geöffneten Browser-Fenstern Anschlusszüge, Umsteigeorte und Preise vergleichen und hoffen, eine halbwegs günstige Verbindung rausgesucht zu haben.

Also, normalerweise ist das so kompliziert. Diesmal war es total einfach. Über die Deutsche Bahn kannst du Tickets von Berlin nach Marseille buchen und musst dich dann nur noch um den Anschluss nach Cassis kümmern. Ich habe nur geschildert, wie komplex die Reiselogistik eigentlich ist, damit Sie nicht den durchaus richtigen Eindruck bekommen, meine Frau müsse wochenlang nach Urlaubsländern, malerischen Orten sowie bezahlbaren Appartements in Strandnähe suchen, während ich mit zwei Mausklicks unsere Zugtickets kaufe.

Drei Viertel der Familie, das heißt, meine Frau, der Sohn und ich, fahren morgen zunächst nach Marseille. Weil wir laut Fahrplan erst um kurz vor 22 Uhr ankommen, bleiben wir eine Nacht, schauen uns am nächsten Tag die Stadt an und fahren nachmittags weiter nach Cassis. Dort stößt abends die Tochter zu uns. Die war vorher schon ein paar Tage mit einer Freundin in Paris. (Anscheinend will sie ihre Ferien nicht ausschließlich mit ihrer Familie verbringen.)

Die Fahrt nach Marseille könnte etwas tricky werden. Die Abfahrtszeit ist zwar ganz entspannt um 9.30 Uhr. Das ist gut fürs Urlaubsfeeling. Schließlich möchtest du nicht mitten in der Nacht aufstehen müssen, um zum Flughafen oder Bahnhof zu fahren. Da fängt der Urlaub nur so mittelgut an. Außerdem müssen wir nur einmal in Frankfurt umsteigen, was ebenfalls von Vorteil ist. So brauchen wir nicht drei- oder viermal schwere Koffer, Rucksäcke und Taschen von einem Zug in den nächsten schleppen. Bei so etwas kannst du dir schnell einen Bandscheibenvorfall zuziehen und dann verbringst du den kompletten Urlaub in der Horizontalen auf einem durchgesessenen Ferienwohnungs-Sofa.

Allerdings haben wir in Frankfurt für den Umstieg in den TGV ganze dreizehn Minuten Zeit. Laut der aktuellen Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn – beziehungsweise Unpünktlichkeitsstatistik –, sind nur rund 70 Prozent der Züge im Fernverkehr pünktlich. Wir werden also mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent den Anschlusszug verpassen.

Als Reiselogistik-Beauftragter würde ich mich in diesem Fall um alternative Verbindungen, eventuell Übernachtungen und die Stornierung des Hotels in Marseille kümmern müssen. Das wäre gar nicht so schlimm. Immerhin wäre ich dann von der Anreise so gestresst, dass ich den Urlaub umso nötiger habe. Ich bekäme quasi mehr Leistung für das gleiche Geld. Eine fast schon realitätsverweigernde Sicht, durch die aber auch ein fast leeres Glas noch halbvoll erscheint. Toll!

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In der Küche inspiziere ich noch unsere Lebensmittelbestände. Ich möchte überprüfen, was davon die nächsten vierzehn Tag überlebt und was sich von den verderblichen Sachen für unser heutiges Abendessen eignet. Wir haben sehr viele Zwiebeln, ein Glas Essiggurken, das schon länger geöffnet ist, eine Salatgurke, die bereits seit geraumer Zeit in unserem Kühlschrank lebt, drei Bananen auf dem Weg zur Mumifizierung und einen Harzer Käse, der vor zwei Tagen abgelaufen ist.

Wir beschließen einstimmig, Pizza zu bestellen.


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Cassis 2022 – Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden

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„Hallo, haben Sie einen Termin?“, begrüßt mich die Frau im Friseurgeschäft. Sie ist jung, mittelgroß, aufwändig geschminkt, hat mittellanges Haar und ich habe ein Problem. Also, nicht weil sie jung, mittelgroß und aufwändig geschminkt ist und mittellanges Haar hat, sondern weil ich nicht weiß, ob sie meine Stammfriseurin ist.

Hört sich komisch an und ist es auch. Meine Stammfriseurin ist nämlich gar nicht meine Stammfriseurin, sondern die meiner Frau. Vor ungefähr sieben Monaten, kurz vor Weihnachten, habe ich mir von Ayşe – so hieße die Stammfriseurin meiner Frau, wenn ich mir den Namen nicht ausgedacht hätte – die Haare schneiden lassen. Weil ich sehr zufrieden war, habe ich seitdem immer Termine bei ihr gebucht. Allerdings war sie nie da und stattdessen hat sich dann eine ihrer Kolleginnen um meine Haare gekümmert.

Weil ich im Urlaub in Cassis nicht rumlaufen möchte, als trüge ich eine Mütze aus räudigem Yak-Fell, habe ich gestern übers Internet einen Termin bei Ayşe ausgemacht. Nun stehe ich hier und weiß ich nicht, ob die Frau, die mich gerade so freundlich begrüßt hat, meine Stammfriseurin beziehungsweise meine Möchtegern-Stammfriseurin ist.

Das ist natürlich peinlich und wirft kein gutes Licht auf mich. Aber ich war ja auch nur einmal bei Ayşe und das ist, wie gesagt, schon sieben Monate her. Außerdem sehen sich die Friseurinnen hier alle recht ähnlich – jung, mittelgroß, aufwändig geschminkt, mittellanges Haar. Da kann es schon mal passieren, dass du nicht weißt, wer dir gerade gegenübersteht. Zumindest, wenn du ein Trottel bist.

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